Sundern. Der Sunderner Ratssaal erlebte am Dienstag abend gleich zwei Rekorde, auch wenn nicht der Rat, sondern nur ein Fachausschuss tagte. Weit über 100 Zuhörer drängten sich um die 15 Ausschussmitglieder und die Fachleute der Stadtverwaltung, mussten teils stehen oder auf den Heizkörpern sitzen, während sie gespannt die abschließende Beratung über die Windkraft-Standorte verfolgten. Und mit rund 2400 Seiten war die Vorlage so umfangreich wie noch nie. Kaum vorstellbar, welche Papierberge hätten bewegt werden müssen, wenn die Arbeit der Politiker nicht kürzlich auf Tablet-PC umgestellt worden wäre.
In Verwaltungsvorlage stecken 1500 Arbeitsstunden
Alle Fraktionen waren sich deshalb einig im Lob für die Arbeit, die die Stadtverwaltung in den letzten Monaten geleistet hat. „Wenn ein Thema das Attribut komplex verdient hat, dann die Windkraft,“ sagte der Beigeordnete Meinolf Kühn. Dennoch sei es gelungen, den Termin zu halten. Dafür habe aber die gesamte Abteilung die letzten acht Wochen an der Vorlage arbeiten müssen. In den 2400 Seiten steckten über 1500 Arbeitsstunden, was einer Wertschöpfung von 75.000 Euro entspreche. Als Ergebnis, so Kühn, könne die Verwaltung der Politik eine objektive, sachliche und methodische Entscheidungsgrundlage an die Hand geben.
Verwaltung präsentiert „3 aus 11“, aber lässt Politik die Freiheit
Elf mehr oder weniger große Flächen, die über fast das ganze Stadtgebiet verteilt liegen und zusammen rund 30 Quadratkilometer ausmachen, erläuterte Planer Lars Ohlig im Schnelldurchgang durch die umfangreichen Flächensteckbriefe und kam am Ende zu einem klaren Ergebnis: Drei Flächen blieben übrig, die große Südliche Waldfläche-Ost rund um Brenschede, die mittelgroße Fläche Hellefelder Höhe-Mitte im Norden des Stadtgebiets an der Grenze zu Arnsberg und die kleine Fläche Allendorf/Hagen-Nord im Westen der Stadt. Die Flächen bei Allendorf und Hellefeld seien verhältnismäßig konfliktarm, die Fläche rund um Brenschede sei generell auch geeignet bis bedingt geeignet, allerdings bestehe hier die Gefahr, dass die Fläche durch Nachmeldungen von geschützten Vögeln schrumpfen könne. Die Fläche sei allerdings so groß und flexibel, dass es mit dem Teufel zugehen müsse, dass sich hier keine Standorte für Windräder mehr finden ließen, so Ohlig. In ihrer Summe seien diese Flächen auch substanziell, weil sie den Auftrag der Rechtsprechung in allen geforderten Maßstäben erfüllten. Dieter Leser lieferte dazu konkrete Zahlen. Die drei ausgewählten Flächen machen knapp zehn Prozent der Stadtfläche von Sundern aus und rund 60 Prozent der Fläche von allen elf möglichen Windkraftgebieten. Und auf diesen drei Flächen könnten über 130 Prozent des durchschnittlichen Stromverbrauchs von Sundern erzeugt werden.
Jede Fraktion sieht es anders – keine folgt Verwaltungsvorschlag
Trotz der klaren Aussagen zierte sich die Verwaltung allerdings, ihr Ergebnis den Politikern als Beschlussvorschlag auf den Tisch zu legen, wollte deren Beschlussfreiheit nicht einengen. So wurde über dieses Dreier-Paket nicht abgestimmt. Zur Abstimmung standen nur die Vorschläge der einzelnen Fraktionen, die sich alle voneinander unterschieden und die in der Zahl der Gebiete, in der Flächengröße und auch in der Verteilung der Belastung über das Stadtgebiet alle mehr oder weniger deutlich hinter dem Vorschlag der Verwaltung zurückblieben. Einig waren sich die Redner der Fraktionen nur in ihrem Bekenntnis zur Energiewende, im Hinweis darauf, dass auch die ehrenamtlichen Feierabendpolitiker ebenfalls unzählige Stunden in dieses Thema investiert haben und dass sie sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht haben.
CDU: Nach Abwägung nur eine Fläche übrig
CDU-Fraktionschef Stefan Lange sagte, die Entscheidung sei der CDU nicht leicht gefallen, da mindestens eine Region der Verlierer sei, aber man müsse die Verantwortung übernehmen, da dies gesetzliche Vorgabe sei. Nach einer Abwägung, bei der der Schutz des Menschen im Vordergrund gestanden habe, sei für die CDU am Ende nur eine Fläche übrig geblieben. Bei der Fläche Hellefelder Höhe-Mitte seien die Beeinträchtigungen für den Menschen relativ gering. Er hoffe auf das Verständnis aus der Bürgerschaft, sagte Lange.
SPD: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“
SPD-Fraktionschef Michael Stechele startete mit einem Angriff auf Bürgermeister Detlef Lins. Er hätte es gut gefunden, wenn der Bürgermeister an der Sitzung teilgenommen und sich auch positioniert hätte. Die Entscheidung der SPD-Fraktion, so Stechele weiter, sei nach einem Punktesystem gefallen, wobei Rechtssicherheit und Konfliktarmut insbesondere beim Faktor Mensch die wesentlichen Kriterien gewesen seien. „So viel wie nötig, so wenig wie möglich,“ sagte Stechele, denn wenn man zu viel herausnehme, sei das Risiko des Scheiterns groß. Die SPD entschied sich für das große Südliche Waldgebiet um Brenschede und auch für die Hellefelder Höhe, aber nicht für das Teilgebiet Mitte, sondern für das kleinere im Westen nahe bei Westenfeld.
Hellefelder Höhe-West hat Problem mit Stromtrasse
Dieses Gebiet Hellefelder Höhe-West, dass auch im Vorschlag der Grünen auftauchte und dass schließlich mit den Stimmen von CDU und Grünen auch ausgewählt wurde, war im Flächensteckbrief der Verwaltung nach nahezu allen Schutzgutkriterien für geeignet befunden worden. Einziger Haken ist die 380-KV-Leitung, die zu massiven Flächenverlusten führen könnte. Der Abstand zwischen Windrädern und Stromleitungen muss wegen der Schwingungsgefahr beim dreifachen Rotordurchmesser liegen. Durch Gewichte, die an die Leitungen gehängt werden, aber einiges kosten, kann der Abstand aber auf einen Rotordurchmesser verringert werden. Das ehemals große zusammenhängende Gebiet Hellefelder Höhe war nach der Erstellung des Artenschutzgutachtens wegen mehrerer Nistplätze geschützter Vögel auf drei Restgebiete West, Mitte und Ost geschrumpft. Das kleinste Restgebiet Hellefelder Höhe-Ost gilt als wesentlich weniger geeignet, da es wegen wirtschaftlich nur schwer nutzbar ist und komplett im Erholungsgebiet Altes Testament liegt.
WISU fordert mehr Abstand zu Wohngebieten
Abstandsflächen waren auch bei der Argumentation der WISU der springende Punkt. Fraktionschef Hans Klein erläuterte, warum seine Fraktion gegen alle Gebiete im derzeitigen Zuschnitt stimmte. „Wir wären dafür, wenn der Radius um die Wohngebiete erweitert würde,“ sagte er. Tausend Meter Abstand zu allgemeinen Wohngebieten seien nicht genug. Vor allem in Orten wie Endorf und Amecke, wo die umliegenden Bergrücken die Ortslagen um 200 und mehr Meter überragen, sei ein Hangfaktor und damit 600 Meter mehr Abstand erforderlich. Eine Forderung, für die es Beifall aus dem Publikum gab.
FDP warnt vor Hellefelder Höhe
Für die FDP sprach sich Ratsmitglied Hanns-Rüdiger Fehling dafür aus, lediglich das Südliche Waldgebiet um Brenschede auszuwählen. Dieses Gebiet biete auf 1300 Hektar platz für 25 bis 30 Windräder und sei damit allein substanziell genug. Dringend warnte er davor, Flächen auf der Hellefelder Höhe auszuwählen. Dabei gehe es ihm nicht allein darum, dass Wanderparadies Altes Testament nicht zu zerschlagen. Vielmehr biete die Stadt Sundern damit freiwillige und zusätzliche Flächen an, die in den Planungen der Bezirksregierung bisher noch nicht enthalten seien. Fehling stellte auch einen Antrag auf Einzelabstimmung der drei von der Verwaltung vorgeschlagenen Flächen, der aber scheiterte.
Befangenheitsregelung verschiebt im Rat die Mehrheiten
Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der Grünen, die Entscheidung wegen der Bedeutung in den Rat zu schieben, wo auch alle Ortschaften vertreten seien. Vor allem CDU-Fraktionschef Stefan Lange hatte gegen diesen Antrag argumentiert, auch wenn er ihn inhaltlich nachvollziehen könne, weil im Rat durch die Befangenheitsvorschriften die gewählten Mehrheiten nicht mehr abgebildet seien. Im Rat hätte es besonders viele Mitglieder der CDU-Fraktion getroffen und im Rat fallen die Stimmen der befangenen Mitglieder einfach weg. Anders im Fachausschuss. Auch hier hatten sich vier der 15 Mitglieder für befangen erklärt, darunter auch der Vorsitzende Klaus Tolle. Im Ausschuss können allerdings Ersatzmitglieder nachrücken, so dass die Stimmenverhältnisse gewahrt bleiben. Befangen sind Rats- und Ausschussmitglieder, wenn sie selbst, enge Verwandte, aber auch der Arbeitgeber direkt oder indirekt von der Entscheidung betroffen wären.
Grüne geben Artenschutz hohe Priorität
Auch Grünen-Fraktionschef Toni Becker musste, wenn auch ungern, auf sein Statement verzichten, weil er sonst, so der Beigeordnete Meinolf Kühn, „das ganze Verfahren gefährdet“ hätte. So erläuterte Ratsmitglied Fritz Arend-Quandt die Position der Grünen. Für seine Fraktion komme direkt nach dem Menschen der Artenschutz, sagte er, und deshalb falle die Südliche Waldfläche aus der engeren Wahl heraus, ebenso die Fläche Allendorf/Hagen-Nord. Für geeignet halte man dagegen die Flächen Hellefelder Höhe-Mitte und Hellefelder Höhe-West.
Schwieriges Abstimmungsprocedere
Dem stellv. Bürgermeister Jürgen ter Braak, der von Klaus Tolle den Ausschussvorsitz übernommen hatte, oblag es, am Ende einer rund zweistündigen Beratung und nach einer von der WISU beantragten Bedenkzeit eine Ordnung in das Durcheinander von Anträgen und Nicht-Anträgen zu bringen, was ihm recht souverän gelang. Der Grünen-Antrag auf Verschiebung in den Rat wurde bei fünf Ja- und neun Nein-Stimmen abgelehnt. Der FDP-Antrag auf Einzelabstimmung wurde bei vier Ja- und sechs Nein-Stimmen abgelehnt.
„Einen Antrag der Verwaltung gibt es nicht“
Zu diesem Zeitpunkt kam nochmals die Frage, ob denn der Vorschlag der Verwaltung ein Antrag sei. „Diesen Antrag gibt es nicht,“ antwortete der Beigeordnete Meinolf Kühn klipp und klar. Und Lars Ohlig erläuterte den Politikern: „Sie sind frei, ihre Entscheidung muss nur städtebaulich begründbar und nicht willkürlich sein.“ Stefan Lange erklärte, die CDU verzichte auf einen eigenen Antrag, da sie sicher sei, dass vorher ein anderer Antrag eine Mehrheit finden werde. Zur Abstimmung standen nun die Anträge von SPD, FDP und Grünen, die ter Braak in dieser Reihenfolge abstimmen ließ, weil das der Größe der jeweils ausgewählten Flächen entsprach. Der SPD-Antrag erhielt nur die drei Stimmen der SPD und wurde von CDU, FDP, Grünen und WISU abgelehnt. Der FDP-Antrag bekam nur die beiden Stimmen der Liberalen und scheiterte ebenfalls. Der Grünen-Antrag dagegen kam mit der einen Stimme der Grünen und den sieben der CDU auf die knappe Mehrheit von acht zu sieben Stimmen.
Sibylle Rohe-Tekath, Ortsvorsteherin von Hellefeld und Mitglied der CDU-Ratsfraktion, erklärte nach der Abstimmung, sie sei erschrocken, dass der Norden jetzt die ganze Verantwortung der Windkraft tragen müsse. Sie hätte sich gewünscht, dass dies auf verschiedene Orte verteilt worden wäre.
SPD kartet nach: „Fangen nächstes Jahr von vorne an“
Schon früh am nächsten Morgen hatte Michael Stechele für die SPD in einer Pressemitteilung ein Fazit gezogen. Seine Fraktion halte die ausgewählten Flächen nicht für substanziell genug und damit für juristisch angreifbar. Und aus Sicht der SPD sei auch das weitere Verfahren kritisch. Jetzt beginne die Offenlegung. Danach müsse sich der Fachausschuss noch einmal mit den Einwänden der Bürgerinnen und Bürger befassen. Der Rat werde dann im Frühsommer abschließend über die Ausweisung der Flächen entscheiden. „Und hier gibt es wegen der Befangenheit vieler CDU Mitglieder wahrscheinlich keine Mehrheit für einen Beschluss, die Hellefeld Höhe Mitte auszuweisen, “ befürchtet Stechele, „und dann fangen wir von vorne an.“
Alle Bürger bekommen Antwort auf ihre Stellungnahmen
Auf jeden Fall sind jetzt nochmals die Bürger gefragt, die sich bei der Offenlegung äußern können. Im bisherigen Verfahren hatten sich neben über 50 sogenannten Trägern öffentlicher Belange auch schon rund 300 Bürger mit Anregungen und Bedenken zu Wort gemeldet. Auf alle ist in der 2400-seitigen Vorlage eingegangen worden und alle Bürger sollen, so hat es die Verwaltung versprochen, schriftlich eine eigene individuelle Antwort bekommen. Das könne allerdings erst geschehen, wenn das Verfahren im nächsten Jahr mit einem Ratsbeschluss formal abgeschlossen sei.