Amecke. Die Bürgerinitiative „BI Amecke 21 – für einen sanften Tourismus“ hat ein modernes Märchen geschrieben und dabei Anleihen bei der inzwischen schon 43 Jahre alten, aber seinerzeit sehr erfolgreichen Bürokratie-Satire „Der Blaumilchkanal“ des israelischen Schriftstellers Ephraim Kishon gemacht.
„Uns ist bewusst, dass der Umfang unseres „Märchens“ heutzutage nahezu jeden Rahmen für eine Veröffentlichung sprengt – dennoch wollen wir Ihnen diese „Märchenstunde“ nicht vorenthalten …“ schreibt Marion Neiteler von der BI in ihrer Pressemitteilung. Der Blickpunkt veröffentlicht das Märchen hier in voller Länge:
Das Märchen vom Blaumilchprojekt …
Es war einmal ein Bürgermeister, der hieß Detlef Blaumilch. Es war ein Bürgermeister, wie es ihn viele gab im Land: Er hatte Ähnlichkeit mit einem Känguru, weil er große Sprünge machte, aber außer 100 Millionen Euro Schulden nichts in seinem Beutel hatte. Da kam eines Tages ein harmlos aussehender grauhaariger, freundlich lächelnder Mann vorbei. Der hatte einen großen Käse in der Hand und eigenartige Schuhe aus Holz an den Füssen. Der ältere Mann sprach: „Lieber Detlef, Franz hat gesagt, du möchtest große Sprünge machen, hast aber kein Geld. Nun ich komme aus einem fernen flachen Land, in dem es viele Leute mit viel Geld gibt, das diese gerne für den Bau von Ferienparks ausgeben möchten. In diese Ferienparks kommen dann noch mehr Menschen aus dem flachen Land am Meer und geben ihr Geld in deiner Stadt aus. Deine Stadt wird zu einem Land, in dem Blaumilch und Honig fließen. Du und deine Untertanen werden von goldenen Tellern essen und du wirst bis an dein Lebensende wiedergewählt werden. Verlass dich d´rauf. Die Leute wollen das. Sie werden dir glauben, ein Ferienpark bringe Arbeitsplätze und viele Touristen. Du musst also keine Angst haben, dass jemand gegen das Projekt ist.“
Detlefs Augen strahlten, denn der Mann mit den Holzschuhen versprach ihm noch viel mehr: freiwillig für jeden Übernachtungsgast einen Euro zu bezahlen, einen wunderbaren Freizeitpalast zu bauen, in dem alle Bürger aus Detlefs Stadt öffentlich schwimmen dürften. Mit der freiwilligen 1‑Euro-Abgabe könne sich Detlef außerdem noch viele andere Träume erfüllen.
Und wirklich, der weise Mann mit den Schuhen aus Holz hatte Recht: Kaum ein Bürger aus Detlefs Reich war gegen das die pure Glückseligkeit verheißende Projekt – kaum einer, denn hinter den Bergen, dort, wo das Projekt einst gebaut werden sollte, da gab es dann doch den ein oder anderen, der Zweifel hegte an den allzu verlockend klingenden Versprechungen. „Welche anderen Ferienparks hat der Investor denn schon geplant?“, fragten die Zweifler Detlef Blaumilch. „Ach“, erwiderte der, „ der Investor ist ein Vollprofi und er hat bereits mehrere ähnliche Projekte erfolgreich durchgeführt und schon andere Städte mit seinen Wohltaten beglückt.“ Welche, das konnte Detlef aber noch nicht sagen. Irgendwann wurde dann in der Eifel ein Park besichtigt, den die freundlichen Menschen aus dem flachen Land gebaut hatten. Detlefs Mitstreiter waren über das, was sie sahen, allerdings eher schockiert. Der aber beruhigte seine Mannen schnell, denn in ihrem Dorf werde alles ganz anders, vor allem aber viel schöner werden.
Die Zweifler aber hatten dennoch Angst, dass der Schuldenberg ihrer Stadt höher und höher werden würde. „Nein, nein“, beruhigte Detlef sie, sie könnten unbesorgt sein, „da es sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt ohne finanzielle Verpflichtungen der Stadt Sundern handelt. Wenn der Betreiber Pleite geht, ist uns das erst einmal egal. In diesem Fall verlässt man sich darauf, dass man schon einen neuen Betreiber findet.“
Fortan war fast täglich etwas über Detlefs Projekt in den Zeitungen zu lesen, so etwa im Dezember des Jahres 2009: Im Jahr 2012 werde der Ferienpark in Amecke eröffnet, gleichzeitig würde der Betreiber oder die Sorpesee GmbH das komplett renovierte Freibad präsentieren – und ein Radweg verbinde Sundern und Amecke.
Oder im März des Jahres 2010, als es hieß, das Freibad sei gerettet, eine Wellnessoase komme und der Investor wolle den Park in eine ruhige und eine aktive Zone teilen. In der letzteren werde das Freibad weiterhin existieren, allerdings müsse es zu diesem Zweck umgebaut und modernisiert werden. „Die Investoren haben erkannt, welches Potenzial das Bad besitzt“, freute sich Detlef Blaumilch.
Und im Dezember des Jahres 2010 hieß es „ … grünes Licht für Riesenprojekt – Ferienpark Amecke wird gebaut … geplante Eröffnung Ostern 2013 …“ Und im November des Jahres 2011: … Ferienpark Amecke kann gebaut werden … auch ein Betreiber ist gefunden … dieser deutsche Betreiber wird neben dem 4‑Sterne-Feriendorf auch ein 4‑Sterne-Hotel in Amecke bauen … Pläne werden im Dezember vorgestellt …
Und im Dezember 2011: … der holländische Investor habe am Donnerstag sein Kommen abgesagt … aber er ließe versichern, ein Baustart in 2012 sei weiterhin seine Absicht … da man das Projekt inzwischen von einer 3- auf eine 4‑Sterne-Stufe aufgewertet habe, verlängere sich jedoch die Bauzeit …
Und im Mai 2012 sagte der grauhaarige Mann mit den Schuhen aus Holz: „Wir wollen einen Ferienpark, ein Vier-Sterne-Hotel und eine Freizeitanlage integrieren, … so wollen wir ein großes Freizeitangebot herstellen und einen maximalen Synergieeffekt erreichen … das Gesamtkonzept soll im vierten Quartal 2012 fertig sein.“
Im Oktober des Jahres 2012 war zu lesen, dass die Rodungen für Detlefs Projekt noch in selben Jahr begonnen würden. Dass es zwar noch keine Pläne gebe, aber viele interessante Details rund um den Ferienpark.
Es ging dann auch tatsächlich los. Auf dem zukünftigen Baugelände wurde aus einem grünen Wald eine öde Mondlandschaft, da der Baubeginn ja unmittelbar bevorstehe.
Nur einmal war die Enttäuschung groß, als der Mann mit den Schuhen aus Holz im April 2013 bei Detlef anrief und sagte, er könne nicht zum vereinbarten Termin erscheinen. Da waren auch die Politiker enttäuscht. Sie sagten, der grauhaarige Mann mit den Schuhen aus Holz habe seine Glaubwürdigkeit verspielt. Aber dann versprach der grauhaarige Mann, dass die Zielplanung in zwei Monaten vorliegen werde und rund 80 bis 100 Einheiten verkauft sein müssten, um zu beginnen. Aber Baubeginn werde auf jeden Fall Ende 2014 sein und in eine erste Bauphase werde auf jeden Fall das Schwimmbad integriert, das später öffentlich zugänglich sei.
Doch im Mai des Jahres 2013 teilte Detlef Blaumilch mit, da sich die Suche der holländischen Investoren nach einem Betreiber für die Ferienhausanlage verzögere, sei der Bebauungsplan bislang noch nicht umgesetzt worden. Außerdem würden die derzeitigen Planungen und konzeptionellen Ideen der Investoren voraussichtlich eine Änderung des bestehenden Bebauungsplanes erforderlich machen.
Oh Schreck: Im August 2013 meldete die Golfsport Sorpesee GmbH Zahlungsunfähigkeit an. Und Detlef sagte, dass aufgrund von Uneinigkeiten mit den holländischen Investoren und einer einhergehenden Verzögerung in der Realisierung des Ferienparks sein Plan nicht aufgegangen sei.
Und dann zerplatzte ein weiterer von Detlefs Träumen: Der mit den Gastwelten.
Doch schon im September 2013 beruhigte Detlef Blaumilch alle seine Untertanen wieder: Das Freibadproblem werde umfassend gelöst, der Abriss könnte schon bald erfolgen bei einer Erbpachtablösung von 540.000 €, 31.800 € Notar- und Grunderwerbssteuer, 140.000 € Abrisskosten ergäbe das eine Summe von 711.800 € …
Der Baubeginn des Parks werde im Frühjahr 2014 sein. Allerdings solle der Eingangsbereich, der durch die Verschwenkung der Landstraße nun andere Dimensionen bekommen habe, überplant werden. Ende November bzw. Anfang Dezember, so versicherte Detlef Blaumilch, werde die Gruppe die genauen Pläne vorstellen. Einen Tag später würden die Investoren die Gesamtkonzeption des Parks dann in der Schützenhalle von Amecke der Bevölkerung in einer Bürgerversammlung präsentieren …
Oh, wie freuten sich die Amecker!! Sie wussten: Auf Detlef Blaumilch konnten sie sich verlassen. Seit eh und je zeichnete sich seine Amtsführung durch Transparenz, Glaubhaftigkeit, keine einzige Fehleinschätzung, absolute Offenheit der Politik und den Bürger gegenüber und eine souveräne Verhandlungsposition gegenüber dem Mann mit den Schuhen aus Holz aus.
Kurz vor Weihnachten 2013 musste dann aber auch noch eine weitere für den Bau des Ferienparkes und die touristische Entwicklung sehr wichtige Firma, die von Freund Franz geleitet wurde, nämlich die Sundern Projekt GmbH, Insolvenz anmelden. Da waren dann alle sehr aufgeregt, weil sich diese Firma bei den Freunden des grauhaarigen Mannes viel Geld geliehen hatte, das diese nun tatsächlich von Detlef wieder haben wollten. Detlef hatte jetzt den Franz nicht mehr lieb und traurig nahm dieser seinen Hut und ging zu dem freundlich lächelnden, grauhaarigen Mann mit dem Käse unter dem Arm, der ihn liebevoll aufnahm.
Auch heute noch – wir schreiben mittlerweile den März des Jahres 2014 – sind alle zuversichtlich, dass Detlefs Träume sich erfüllen. Zwar hat der Mann mit den Schuhen aus Holz gesagt, er und seine Freunde seien traurig, dass einige in Detlefs Reich sie nicht lieb haben. Und dass er das öffentliche Schwimmen nun doch nicht ermöglichen könne, weil Detlef ihm die Grundstücke, die er ihm eigentlich versprochen hatte, nun doch nicht schenken würde, sei er, der Mann mit den Schuhen aus Holz, jetzt unglücklich, große hässliche Häuser in den Eingangsbereich seines Ferienparks setzen zu müssen. Und damit sich das für ihn und die Geldgeber aus dem Ferne lohne, müsse er auch noch mehr Häuser in den Ferienpark bauen. Aber Detlef Blaumilch macht das nix. Er träumt weiter. Und wenn er nicht gestorben ist, so träumt er auch noch heute.