Arnsberg. „Komasaufen“ ist in Arnsberg ein wachsendes Problem. Rund 50 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren werden mittlerweile pro Jahr wegen einer Alkoholvergiftung stationär in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Hüsten behandelt. Und sie werden jünger. „Auch einen Zwölfjährigen mussten wir kürzlich versorgen“, so Chefarzt Dr. Bartholomäus Urgatz, der den Kindern und Jugendlichen wie auch deren Eltern dank einer neuen Kooperation mit dem Familienbüro der Stadt Arnsberg jetzt professionelle Hilfe anbieten kann: das Präventionsprojekt „HaLT – Hart am LimiT“.
Reaktion auf alarmierende Zahlen
Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen ist in Arnsberg wie auch bundesweit keine gesellschaftliche Randerscheinung. Darauf hatte Dr. med. Bartholomäus Urgatz, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Hochsauerland im Rahmen eines regelmäßig stattfindenden Netzwerktreffens mit dem Familienbüro des Jugendamtes der Stadt Arnsberg im Sommer diesen Jahres hingewiesen. „Im Gegenteil, die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die aufgrund einer Alkoholintoxikation stationär in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin behandelt werden mussten, ist in den letzten Jahren sogar deutlich gestiegen, von 34 und 36 in den Jahren 2015 und 2016 auf fast 50 Jugendliche im Jahr 2017.“ Er berichtet auch von veränderte Trinkverhalten. Die Alcopops seien nicht mehr so in Mode. In sei derzeit die Wodkaflasche, deren Inhalt versüßt werde. Gemischt mit süßen Getränken sei der Alkohol so zunächst gut trinkbar, doch irgendwann kommt der Cut.Urgatz sagte auch, dass die nach Erinnerungsverlust oft ins Feld geführten K.O.-Tropfen nur ein Mythos seien.
„HaLT – Hart am Limit“
„Wir als Stadt Arnsberg haben schnell auf die alarmierenden Zahlen reagiert und in Kooperation mit dem Klinikum ein Programm zur lokalen Alkohol- und Drogenprävention in Anlehnung an das HaLT-Konzept auf den Weg gebracht“, berichtete Christian Eckhoff, Leiter des Familienbüros der Stadt Arnsberg. „HaLT – Hart am Limit“ ist ein bewährtes Alkoholpräventionsprogramm der Villa Schöpflin gGmbH in Lörrach, was gemeinsam mit Praktikern aus ganz Deutschland entwickelt und seit einem Jahrzehnt in vielen Städten erfolgreich eingesetzt wird. HaLT umfasst Angebote für Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum sowie die Arbeit in kommunalen Präventionsnetzwerken. Michael Voß, der seit zwei Jahrzehnten in der Suchtprävention mit Kindern und Jugendlichen arbeitet und auch seine spezielle HaLT-Schulung absolviert, rechnet nach einer nötigen Anlaufphase auch in Arnsberg mit einem Erfolg des Programms. Er will „aufklären und anderer Möglichkeiten aufzeigen, die eigenen Grenzen zu erproben“.
Die Zusammenarbeit von Klinikum und Stat sieht so aus, dass Jugendliche vor der Entlassung nach einem stationären Aufenthalt aufgrund einer Alkoholvergiftung gemeinsam mit den Eltern auf das HaLT-Projekt aufmerksam gemacht werden. Nach der Erstinformation noch im Krankenhaus können sie im Anschluss kostenlos und auf freiwilliger Basis verschiedene Netzwerkangebote nutzen. „Hierzu gehört zunächst ein Gespräch, gemeinsam mit den Eltern oder auch getrennt, in dem die Gründe für den Alkoholmissbrauch heraus gearbeitet werden. Weitere Gesprächsangebote oder Hilfen können daraufhin vereinbart werden“, erläuterte Michael John, Jugendamtsleiter der Stadt Arnsberg.
Aufwachen im Krankenhaus schockiert
„Die Gründe, warum die Jugendlichen mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, sind so unterschiedlich wie die Jugendlichen selbst“, so Dr. med. Rüdiger Holzbach, Suchtexperte und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie am Klinikum. Einige hätten schon vorher Alkohol getrunken und seien erstaunt, dass sie die gewohnte Menge diesmal nicht vertragen haben. Andere hätten zum ersten Mal überhaupt getrunken. Doch alle seien schockiert, wenn sie danach in einem Krankenhausbett aufwachten – in einer Windel und ohne sich erinnern zu können. Daher sei es sinnvoll, das Erlebnis zu besprechen, solange die Erinnerungen daran noch frisch seien. In der Regel zeigten sich die Jugendlichen dann gesprächsbereit und offen für Anregungen.
Dr. Urgatz betont, dass es keinen Sinn mache, die jungen Menschen zu etwas zu zwingen. Das Angebot sei freiwillig und selbstverständlich passiere nichts ohne die Eltern. Deshalb müssten die Eltern und die Jugendlichen auch einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zustimmen, bevor das Jugendamt informiert werde.
Kooperationsvereinbarung offiziell unterzeichnet
Damit betroffene Jugendliche und Eltern nach dem stationären Aufenthalt ein gutes Präventionsprogramm nutzen können, wurde jetzt eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Fachbereich Schule, Jugend, Familie der Stadt Arnsberg und dem Klinikum Hochsauerland offiziell unterzeichnet. Fachbereichsleiter Michael John und Chefarzt Dr. med. Bartholomäus Urgatz unterzeichneten die Vereinbarung. Ein erster Teilnehmer hat sich in den letzten Tagen im Klinikum bereits angemeldet und wartet jetzt auf seine Einladung.