Arnsberg. Es war ein Abend der offenen Worte und ein Abend, der sich aus Sicht beider Seiten gelohnt hatte. Fast zweieinhalb Stunden diskutierten gut 100 Kindergarteneltern und ein Großaufgebot von Lokalpolitikern, darunter mehr als ein Dutzend Ratsmitglieder, am Runden Tisch, zu dem die Initiative gegen zu hohe KiGa-Beiträge in Arnsberg ins Sonnendorf-Clubheim in Neheim geladen hatte. „Unsere Botschaft ist sehr eindeutig,“ stellte Tomislav Babic, Sprecher der Initiative und Moderator des Abends, fest. „Das ist angekommen, das sind jetzt unsere Hausaufgaben,“ antwortete Nicole Jerusalem, CDU-Ratsmitglied und Vorsitzende des für die Kindergartenbeiträge zuständigen Fachausschusses. Dort werde man sich unverzüglich, unter anderem mit einer ganztägigen Sondersitzung, daran machen, dass Arnsberg den letzten Platz in der Statistik der Gebührenhöhe so schnell wie möglich verlässt, so Jerusalem. Zugesagt hat die Politik auch, den offenen und ehrlichen und an diesem Abend auch immer sachlich-fairen Kontakt mit Eltern und Initiative fortzusetzen und sie auf dem Weg mitzunehmen.
Am Ende steht Wunsch nach völliger Beitragsfreiheit
Drei Felder kristallisierten sich in der Diskussion heraus, auf denen die Politik jetzt handeln muss. Die Erkenntnis, dass die derzeit in Arnsberg praktizierte Gebührenstaffelung ungerecht und unsozial ist, war den Politikern nicht ganz neu und es wurden auch schon Schritte unternommen, das zu ändern, bevor die Initiative in den letzten Wochen Dampf gemacht hat. Klar wurde allerdings auch, dass den Eltern eine Umschichtung allein nicht genügt, sondern dass sie erwarten. dass die Stadt mehr Geld in die Hand nimmt und die Eltern entlastet, am Ende bis zur völligen Beitragsfreiheit. Eine Forderung, die nur zu erfüllen ist, wenn die Stadt an anderer Stelle einspart oder neue Einnahmen erschließt, etwa durch höhere Steuern. Eine Forderung auch, die die SPD bei den letzten beiden für sie verloren gegangenen Kommunalwahlen in ihrem Programm hatte, bei der jetzt aber auch die Ratsmehrheit von CDU und Grünen unter Druck steht und offenbar bereit ist, Lösungen zu finden.
Mehrzahl der Eltern fühlt sich bei U3-Buchung unter Druck gesetzt
Aber auch die Transparenz und Fairness des Arnsberger Gebührensystems liegt offenbar im Argen. Die wohl größte Überraschung des Abends erlebten die Politiker, als Nicole Jerusalem, hellhörig geworden durch verschiedene Diskussionsbeiträge, all die Eltern aufforderte, sich zu erheben, die in den letzten Monaten vor dem dritten Geburtstag ihres Kindes die teure U3-Betreuung gebucht haben, obwohl sie die eigentlich nicht brauchten, die sich aber unter Druck gesetzt gefühlt haben, weil sie fürchteten, anders keinen Ü3-Platz in ihrem Wunschkindergarten zu bekommen. Mehr als die Hälfte der Eltern im Saal standen auf, ein Ergebnis, das einen Moment sprachlos machte.
Massive Kritik auch an unflexiblen Zeiten
Massive Kritik kam auch von Eltern, die eigentlich weniger als 25 Stunden Betreuung brauchen, aber das teurere 35-Stunden-Paket buchen müssen, weil das Angebot der Kindergärten nicht flexibel genug ist, um auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. Kritik gab es auch beim Thema Tageseltern. Es sei doch nicht einzusehen, dass die Stadt, wenn Betreuungsstunden ausfallen, von den Eltern trotzdem den vollen Beitrag verlange, den Tageseltern aber die Vergütung kürze, sagte eine Mutter. Auch eine Tagesmutter kam zu Wort, fragte, wie es denn komme, dass Arnsberg die höchsten Gebühren habe, aber die schlechteste Entlohnung für Tageseltern.
Initiative legt Vorschlag für Beitragsstaffel vor
Die „deutliche Schieflage“, die SPD-Ratsmitglied Andreas Posta der Gebührenstaffelung attestierte, macht die Initiative an der viel zu niedrigen Einstiegsgrenze, an er ebenfalls zu niedrigen Obergrenze bei 60.000 Euro und an zu großen Zwischenschritten fest. „Bei 12.000 Euro brutto im Jahr weiß eine Familie doch nicht, wie sie das Essen bezahlen soll. Da kann sie nicht auch noch Kindergartengebühr bezahlen,“ sagte Tomislav Babic unter starkem Beifall. Eine Mutter fügte hinzu, 24.000 und 36.000 Euro Jahresverdienst seien für sie ein sehr großer Unterschied, da sei es doch ungerecht, wenn beide die gleiche Gebühr bezahlen. Und eine andere Mutter sagte, sie und ihr Mann hätten geradezu Angst vor dem Weihnachtsgeld, weil sie fürchteten, in eine höhere Beitragsgruppe zu rutschen. Tomislav Babic zeigte eine von der Initiative erarbeitete Beitragsstaffel, die als Diskussionsgrundlage dienen soll. Die Untergrenze liegt bei 25.000 Euro Jahresgehalt, dann geht es in 5000-er-Schritten bis 100.000 Euro. Für 25 Stunden Betreuung werden ein Prozent des Jahresgehalts als Gebühr angesetzt, für 35 Stunden zwei Prozent und für 45 Stunden drei Prozent. Unterm Strich ergibt das Monatsbeiträge zwischen 20 und 250 Euro.
Kinderwohl weit wichtiger als Geld
Warum Arnsberg denn ein neues Stadt-Logo entwerfe, Fußbodenheizungen in Sekundarschulen einbaue oder einen NRW-Tag ausrichten wolle, wenn es kein Geld habe, fragten verschiedene Eltern. CDU-Fraktionschef Klaus Kaiser versicherte ihnen, dass Elternbeiträge nicht genutzt werden, um anderswo Löcher im Haushalt zu stopfen. „Ihr Geld geht voll und ganz in die gute Betreuung Ihrer Kinder.“ Das diese Qualität der Betreuung nicht gesenkt werden soll, darüber waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Nicht nur die Mutter, die fast die kompletten Einnahmen ihres 400-Euro-Jobs für den Kindergarten ausgibt, betonte, wieviel wichtiger als Geld ihr das Wohl des Kindes sei.
55 Prozent beitragsfreie Kinder für den zahlenden Rest kein Trost
Durchaus Verständnis zeigten die Eltern, dass Arnsberg nicht in der komfortablen Situation von Düsseldorf ist, das dank zehnstelliger Gewerbesteuereinnahmen ganz auf Kindergartengebühren verzichtet. Warum aber Arnsberg so viel teurer ist als die Nachbarn Sundern und Meschede ist oder als Siegen, einer Stadt, der es auch nicht besonders gut gehe, mochte niemand einsehen. Die Arnsberger Stadtverwaltung solle doch mal einen Betriebsausflug nach Siegen machen, hieß es, und auch der Verweis der Politiker auf die Geschwisterkindregelegung in Arnsberg, die es anderswo nicht gebe, zog bei den Eltern nicht. 55 Prozent der Kinder seien in Arnsberg beitragsfrei, sagte Klaus Kaiser, aber das tröste die anderen 45 Prozent offensichtlich wenig. Hans Wulf, Fraktionssprecher der Grünen, regte an, auch mal einen Blick auf die Betriebskosten der Arnsberger Kindergärten zu werfen. Eine kindergartenscharfe Abrechnung der Kosten hat die Politik bereits mehrfach angefragt, aber bisher nicht erhalten.
SPD-Vorschlag: Stadt soll Blitzer aufstellen
40 Kindergärten gibt es in Arnsberg, die jährlich rund 15 Millionen Euro kosten. Den größten Teil zahlt das Land, rund sechs Millionen trägt derzeit die Stadt und 1,6 Millionen kommen von den Eltern. An diesen letzten Posten will die Elterninitiative ran. „Schließlich sind unsere Kinder das wichtigste Kapital für unsere Zukunft,“ begründet Tomislav Babic. Soll die Stadt diese 1,6 Millionen Euro übernehmen, muss sie diese irgendwo her holen. SPD-Ratsmitglied Harald Kaufung brachte einen Vorschlag. Die Stadt solle eigene Blitzer aufstellen. Denn bisher, so Kaufung, „subventionieren die Eltern mit den Kindergartenbeiträgen die Raser in dem Tempo-30-Zonen vor den Kindergärten“. Kaufung kündigte an, dass die SPD-Fraktion auch Geld im Haushalt finden werde, um die Senkung der Beiträge zu finanzieren.
Erhöhung der Grundsteuer eine Möglichkeit
Auch Arnsbergs CDU-Chef Klaus Büenfeld signalisierte der Initiative Zustimmung, denn einiges habe sich anders entwickelt, als seine Partei es sich vorgestellt habe. „Wir alle kommen auch aus Familien mit Kindern und Enkeln und die neuen Menschen in der Stadt sind uns wichtig, auch wenn sie Geld kosten,“ so Büenfeld. SPD-Fraktionschef Ralf Bittner konnte da auf gleich sechs eigene Kinder verweisen. Bittner sagte, er freue sich, wenn die CDU jetzt auch auf einem Weg mit komme, auf dem die SPD sich bisher nicht habe durchsetzen können. Den Eltern sagte er aber auch, er sei Realist und eine Beitragsfreiheit vor 2020 halte er nicht für möglich. Eine Jahreszahl, die sich sichtlich nicht mit den Erwartungen der Eltern deckte. FDP-Ratsmitglied Carlo Cronenberg erinnerte die Initiative daran, die gesellschaftliche Grundsolidarität nicht zu verlassen. Sie müsse immer auch an die denken, die das Loch stopfen sollen. Sonst, so Cronenberg, „sitzen wir bald mit anderen Leuten in einem anderen Saal mit einem ähnlichen Thema wieder zusammen“. Klaus Kaiser hatte zuvor die Erhöhung der Grundsteuer als Möglichkeit der Finanzierung ins Spiel gebracht.
Lob für Energie und Power des Abends
Neben der Zusage, die aufgetragenen Hausaufgaben zu machen, auf der einen Seite und der Einsicht, dass sich nicht alles von null auf jetzt ändern lasse, auf der anderen Seite stand am Ende des Abends das Lob für die gelungene Veranstaltung im Mittelpunkt. Verena Verspohl, Ratsmitglied der Grünen, lobte Energie und Power der Diskussion und nannte das „eine wünschenswerte Situation für die Politik“ und Tomislav Babic dankte für ein „tolles, tolles Forum“.