Arnsberg/Sundern. Die Städte Arnsberg und Sundern haben sich mit Unterstützung des Caritas-Verbands Arnsberg-Sundern e.V. und dem Zweckverband der Volkshochschulen Arnsberg-Sundern sowie dem Jobcenter des Hochsauerlandkreises in einem Zeitraum von rund 1,5 Jahren mit der verfestigten Sockelarbeitslosigkeit in unser Region beschäftigt und nach Wegen zur nachhaltigen Lösung gesucht, um Arbeitslosen und ihren Familien eine realistische berufliche und gesellschaftliche Perspektive zu eröffnen. „Es gibt, auch aufgrund des strukturellen Wandels der beiden Städte, keinen Arbeitsmarkt für wirtschaftlich Ungelernte“ so Arnsbergs Bürgermeister Hans-Josef Vogel der ebenso wie Bürgermeister Detlef Lins aus Sundern die gemeinsame Initiative sehr begrüßt.
„Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die vielfach gemachte Erfahrung in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, dass die bestehenden Instrumente der Arbeitsmarktförderung nicht nachhaltig genug sind und der Vielzahl von Vermittlungshemmnissen in nicht angemessener Art und Weise gerecht werden können,“ so der Leiter der VHS Klaus-Rainer Willeke. Dem Caritasverband und der VHS war es wichtig, dass für langzeitarbeitslose Menschen endlich Perspektiven geschaffen werden, und dass eine „Umsteuerung“ von Finanzierung der Arbeitslosigkeit zur Förderung von Arbeit – dem sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer (PAT) – entsprochen wird. Dazu ist eine Unterstützung des Bundesgesetzgebers und des Arbeitsministeriums auf Bundes- und Landesebene nötig. In Gesprächen mit den Jobcentern und den politischen Vertretern der beiden Kommunen wurde deutlich, dass das Beschreiten neuer Wege bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen dringend geboten ist. Der „Soziale Arbeitsmarkt“ ist dabei ein richtiger Ansatz für langzeitarbeitslose Menschen mit Vermittlungshemmnissen.
„Daueralimentation nicht in Kauf nehmen“
In den letzten Jahrzehnten hat es viele Versuche gegeben, öffentlich geförderte Beschäftigung als Instrument der Arbeitsmarktpolitik zu verankern. Die Akzentsetzungen dabei waren vielfältig. Erinnert sei an die ABM-Beschäftigung, die Beschäftigungsförderung nach §16e SGB II, die Ein-Euro-Jobs, das Bundesprogramm „Kommunal-Kombi“ oder die „Bürgerarbeit“, um nur einige Varianten zu nennen. Nichts davon ist nachhaltig verfolgt worden. Der sozialfachliche Vorstand des Caritasverbandes, Christian Stockmann: “Unser Fazit: Um Menschen und ihre Familien nicht dauerhaft von der Gesellschaft abzuschreiben, um Daueralimentation in Arbeitslosigkeit nicht in Kauf zu nehmen, um der Verfestigung von Kinder- und Altersarmut, krankmachenden Strukturen, mangelnden Bildungschancen und dem Anstieg von SGB XII Fällen vorzubeugen, bedarf es der schrittweisen Etablierung eines Sozialen Arbeitsmarktes! Diesen jetzt zu realisieren ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber vor allem der (Bundes-) Politik, die die entsprechenden Rahmenbedingungen auf Bundesebene als auch vor Ort sicherstellen muss. Hier fehlte bisher der nachhaltige Mut auf Bundesebene!“
Ziele: Integration und längerfristige Perspektive
Ziel des „Sozialen Arbeitsmarktes“ ist die mittelfristige Integration besonders benachteiligter Personen in eine regelmäßige berufliche Tätigkeit mit der längerfristigen Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ziel dabei ist es auch, den langzeitarbeitslosen Menschen wieder eine soziale und gesellschaftliche Teilhabe sowie die Stabilisierung der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Der Gedanke, von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit (Passiv) zur Finanzierung von Beschäftigung (Aktiv) durch eine Umsteuerung der Transferleistung zu kommen, ist dabei richtungsweisend. „Der Caritasverband und die VHS begrüßen es deshalb außerordentlich, dass die Arnsberger Ratsfraktionen in der Ratssitzung am 26. November 2014 den beiliegenden Appell zum Sozialen Arbeitsmarkt einstimmig beschlossen haben“, so Stockmann und Willeke. In der kommenden Ratssitzung wird der Appell zum „Sozialen Arbeitsmarkt“ auch den Fraktionen in Sundern zur Abstimmung vorgestellt. Dazu Bürgermeister Lins: „Aufgrund des innovativen Ansatzes in einem für die Gesellschaft so wichtigen Bereich gehe ich fest davon aus, dass sich auch der Rat der Stadt Sundern diesem Appell vorbehaltlos anschließen wird.“ Der interkommunale Appell wird dann dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW vorgelegt. Stockmann: „Ziel der Initiative ist es, die Bundes- und Landespolitik auf die Herausforderung in Arnsberg und Sundern hinzuweisen, um langzeitarbeitslosen Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.“
Als Anlage hier der Arnsberger/Sunderner Appell „Sozialer Arbeitsmarkt“ im Wortlaut:
Gemeinsam den zweiten Arbeitsmarkt als „Sozialen Arbeitsmarkt“ gestalten
1.
Die Städte Arnsberg und Sundern sind traditionell große produzierende Standorte. Ihre Wirtschaft wird geprägt von kleinen und mittleren industriellen Unternehmen. In der Stadt Arnsberg arbeiten rd. 40 Prozent und in der Stadt Sundern sogar rd. 59 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der produzierenden Wirtschaft, die seit Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel gestaltet.
Folge dieses wirtschaftlichen Strukturwandels ist – im Unterschied zum übrigen Hochsauerlandkreis – ein stark ausgeprägter „gespaltener“ Arbeitsmarkt.
Auf der einen Seite trifft die steigende Nachfrage nach qualifizierten bzw. hochqualifizierten Tätigkeiten auf einen Mangel an entsprechenden Fachkräften. Die lokalen und regionalen Akteure haben darauf reagiert und entsprechende Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Diese Maßnahmen werden ständig fortgeschrieben.
Auf der anderen Seite gibt es seit Jahren in beiden Städten eine hohe Sockelarbeitslosigkeit. Einfache bzw. gering qualifizierte Tätigkeiten werden nicht nachgefragt. Menschen ohne ausreichende schulische oder berufliche Ausbildung finden keine Beschäftigung.
Auch hier wurden erhebliche Anstrengungen der lokalen und regionalen Akteure unternommen, Menschen, die lange arbeitslos sind, in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Die Möglichkeiten waren und sind jedoch äußerst begrenzt. Es gibt faktisch keinen funktionsfähigen Arbeitsmarkt für ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für einfache Tätigkeiten.
So laufen auch die Bemühungen der Betroffenen weitgehend ins Leere, dem Grundsatz des „Forderns“ zu entsprechen, also sich mit Unterstützung einen Arbeitsplatz zu suchen. Die Betroffenen empfinden dies als persönliches „Versagen“. Sie werden entmutigt oder resignieren. Sie haben keine berufliche Perspektive, was sich auf ihr Leben, das Leben ihrer Familien, aber auch auf die lokale Gesellschaft negativ auswirkt.
2.
Wir können also für unsere beiden Städte einen „gespaltenen“ Arbeitsmarkt feststellen, d.h. einen ersten und zweiten Arbeitsmarkt unterscheiden.
Beim ersten und zweiten Arbeitsmarkt handelt es sich um verschiedene Formen der Arbeitslosigkeit in ebenso verschiedenen Arbeitsmärkten, die unterschiedlichen Gesetzen sowie unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind.
Der erste Arbeitsmarkt gehört seiner Natur nach in den Bereich der Wirtschaftspolitik. Er wird charakterisiert durch Markt und Eigeninitiative. In ihm vollzieht sich ein wesentlicher Teil der Arbeitsvermittlung mehr oder wenig zügig und überwiegend außerhalb der Arbeitsagenturen. Vielfach finden die arbeitslos gewordenen Menschen auf eigene Initiative oder mit Hilfe anderer Formen der Arbeitsvermittlung einen neuen Arbeitsplatz.
Der zweite Arbeitsmarkt dagegen gehört in den Bereich der Sozialpolitik. Seine Aufgaben sind Grundsicherung und gesellschaftliche Teilnahme. Da zurzeit weder ein funktionsfähiger Arbeitsmarkt für einfache Tätigkeiten noch die Arbeitgeber existieren, die entsprechende Arbeitsplätze organisieren und anbieten, müsste ein wirtschaftlicher Arbeitsmarkt dafür mühsam aufgebaut werden. Ein solcher Arbeitsmarktaufbau ist auf dem Hintergrund der Digitalisierung unserer Arbeitswelten nicht wahrscheinlich. Trotzdem lohnt jede Anstrengung. Entscheidend aber ist und bleibt die Aufgabe, den zweiten Arbeitsmarkt als „Sozialen Arbeitsmarkt“ zu gestalten, um den Beteiligten und den lokalen Gesellschaften neue Perspektiven zu eröffnen.
3.
Die Städte Arnsberg und Sundern, der Caritasverband Arnsberg-Sundern, die VHS Arnsberg-Sundern und das Jobcenter des Hochsauerlandkreises haben sich intensiv mit der verfestigten Sockelarbeitslosigkeit, d.h. mit dem zweiten Arbeitsmarkt in unserer Region beschäftigt und nach nachhaltigen Lösungen gesucht. Die gute Zusammenarbeit beider Städte und der weiteren Partner, die in beiden und für beide Städte arbeiten, kam diesem Vorgehen zu Gute.
Nach mehreren Werkstattgesprächen und nach der Auswertung der Erfahrungen des Modellprojekts „Öffentlich geförderte Beschäftigung“ in Nordrhein-Westfalen sowie der Studien zum „Passiv-Aktiv-Transfer (PAT)“ aus Baden-Württemberg und dem Saarland kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit/Sockel- bzw. Bestandsarbeitslosigkeit konsequent den „Sozialen Arbeitsmarkt“ einführen, d.h. den zweiten Arbeitsmarkt als „Sozialen Arbeitsmarkt“ gestalten müssen.
4.
Die Städte Arnsberg und Sundern und ihre lokalen und regionalen Partner richten deshalb an Bund und Land NRW den Appell, einen sozial ausgerichteten Arbeitsmarkt für dauerhaft nicht vermittelbare Arbeitslose zusammen mit den örtlichen Akteuren in Arnsberg und Sundern aufzubauen und nachhaltig zu gestalten.
Trotz der positiven Konjunkturentwicklung finden viele Leistungsberechtigte des SGB II keine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt. Mit Stand vom 31. 10. 2014 sind in Arnsberg 5692 Leistungsberechtigte nach SGB II mit 2157 Langzeitarbeitslosen gemeldet (Arbeitslosenquote rund 8 Prozent). In Sundern sind es zum gleichen Zeitpunkt 1351 Leistungsbezieher mit 426 Langzeitarbeitslosen (rd. 5 Prozent).
Gründe hierfür sind vor allem fehlende Arbeitsplätze aufgrund der beschriebenen Arbeitsmarktstrukturen, geringes bzw. kein ausreichendes Qualifizierungspotential, hohes Alter mit damit verbundenen Einschränkungen.
5.
Die Städte Arnsberg und Sundern sowie ihre lokalen und regionalen Partner sehen sich in der gesellschaftlichen Verantwortung, diesen Menschen über einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ eine sinnstiftende, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bieten, Teilnahme zu ermöglichen und Wert schaffende Beiträge für beide Städte zu leisten. Die Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt kann durch aktivierende und qualifizierende Effekte gefördert werden. Dies ist eine Aufgabe, die objektiv auf einen kleineren Kreis zutrifft.
Ziel ist die Schaffung von Arbeitsplätzen in Abhängigkeit von Förderbedingungen des Bundesprogramms und des Landes NRW. Im lokalen Konsens können auch Finanzierungsbeiträge aus dem Eingliederungstitel SGB II erfolgen.
6.
Unser Aufruf richtet sich an alle Verantwortlichen in Bund und Land, gemeinsam mit den Unterzeichnern Wege und Mittel zu finden, das Vorhaben „Sozialer Arbeitsmarkt“ in Arnsberg und Sundern zu verwirklichen, um langzeitarbeitslosen Menschen Perspektiven zu ermöglichen und Solidarität zu stiften. Dabei soll der Soziale Arbeitsmarkt sowohl in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes wie auch in speziellen sozialen Betrieben umgesetzt werden.
7.
Arnsberg und Sundern sind aufgrund der dargestellten Bedingungen in besonderer Weise darauf angewiesen, einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ einzurichten, um die Sockelarbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Beide Städte wollen dies gemeinsam und im regionalen Verbund tun.
Dabei sind sich alle Beteiligten einig, dass trotz des wirtschaftlichen Strukturwandels die Vorrangigkeit des ersten Arbeitsmarktes gegenüber öffentlich geförderter Beschäftigung gesichert sein muss. Diese Sicherung darf aber nicht als Ausrede gelten, den zweiten Arbeitsmarkt nicht als „Sozialen Arbeitsmarkt“ zu gestalten. Durch die Einbindung der Sozialpartner wird sichergestellt, dass die öffentlich geförderte soziale Beschäftigung keine Wettbewerbsverzerrung ermöglicht.
Wir wollen in Arnsberg und Sundern:
- eine dauerhafte sinnvolle Perspektive für die Betroffenen/Langzeitarbeitslosen und ihren Familien ermöglichen,
- nachgefragte, sinnvolle Tätigkeiten schaffen, für die kein erster Arbeitsmarkt mehr besteht und auch nicht mehr oder nur begrenzt aufgebaut werden kann,
- keine Wettbewerbsverzerrung erzeugen, sondern im Gegenteil eine gesellschaftliche Wertschöpfung ermöglichen, die dem Standort und den Städten insgesamt zu Gute kommt,
um eine sinnvolle, erfolgreiche und gesellschaftlich förderliche Lösung für die Problematik der Sockel-Langzeitarbeitslosigkeit, d.h. des zweiten Arbeitsmarktes zu erreichen.