Arnsberg. Zehn Kinder seien in den ersten vier Tagen dieser Woche in Arnsberg geboren worden und die Hälfte von ihnen werde nach Expertenmeinung über 100 Jahre leben. Für diese Menschen und ihr Leben müsse die Politik heute schon Verantwortung tragen. Das sagte Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds beim Expertengespräch des Vereins zur Förderung von neuen Formen der Kommunikation zum Thema „Digitale Stadt der Zukunft“.
Die Zahl der Hundertjährigen wächst rasant. „42 sind es derzeit in Arnsberg,“ wusste die stellv. Bürgermeisterin Rosi Goldner. Und die Hundertjährigen von 2114 werden, so Habbel, noch weit größere Veränderungen erlebt haben als die heutigen seit 1914. Dafür sorge die Digitalisierung und ihre Schwester, die Globalisierung. Mit zwei Fotos von den Papstwahlen 2005 und 2013 verdeutlichte der Experte das Tempo der Veränderung. 2005 sah man in der Masse der Menschen auf dem Petersplatz fünf oder sechs Smartphones glitzern, 2013 waren sie kaum noch zu zählen. 38 Millionen sind es heute schon in Deutschland.
Städte als stabile Eckpfeiler und Zukunftslabore
Habbel ist überzeugt, dass in dem dynamischen Spiel die Städte die stabilen Eckpfeiler sein werden, die den Menschen Orientierung bieten. Städte und nicht Staaten oder Regierungen werden die Labore für zukunftsfähige Lösungen sein und die Zivilgesellschaft wird mit den kommunalen Politikern und Experten zu den Baumeistern gehören. „Denn die Daseinsbewältigungserfahrung liegt bei den. Menschen,“ sagt Habbel und sieht einen hochdemokratischen Prozess, wenn die Zivilgesellschaft sich organisiert. Er erwartet mehr Kommunikation, mehr Nachhaltigkeit, mehr Selbstorganisation, mehr Offenheit, mehr Transparenz.
Zukunfts-City muss Smart-Check bestehen
Die digitale Stadt der Zukunft müsse sich immer wieder dem Smart-Check stellen. „Smart“ buchstabiert Habbel in Übersetzung fünf englischer Begriffe mit Nachhaltigkeit, Mobilität, Verantwortung, Widerstandsfähigkeit und Technologie oder in Deutsch mit Sozialkompetenz, Menschen, Aufmerksamkeit, Respekt und Talente. „Und wie macht man eine City smart? Auf jeden Fall nicht per Ratsbeschluss, das können Sie vergessen!“ sagte Habbel seinen aufmerksamen Zuhörern im vollbesetzten Foyer der Festhalle.
Zweiter Experte des Abends war Bürgermeister Hans-Josef Vogel, der mit Franz-Reinhard Habbel im Innovators Club des Städte- und Gemeindebunds eng zusammen arbeitet und eine gemeinsame Philosophie teilt. Vogel ging auf sieben Bereiche ein, die in Arnsberg Thema der nächsten sechs Jahre nach der Kommunalwahl sein sollten. Bereiche, in denen man vielfach noch ganz am Anfang stehe, in denen ein Riesenprogramm warte, das auch koste, in denen es nicht nur Verheißungen gebe, sondern auch Risiken, die man aber nicht links liegen lassen dürfe.
Bibliotheken als neue Verknüpfungspunkte
Als ersten Punkt nannte Vogel die Digitale Verwaltung und brachte gleich ein Beispiel. Die Umfrage unter 2000 Arnsberger Jugendlichen, die so viele wichtige Aufschlüsse gebracht habe, sei früher so unvorstellbar gewesen, heute aber ohne großen Verwaltungsaufwand und ohne große Kosten umsetzbar gewesen. Wichtig für die Digitale Verwaltung sei die Normierung von Verknüpfungspunkten, möglicherweise mit den Bibliotheken als neuen Treffpunkten. Digitale Verwaltung brauche auch das Vertrauen der Menschen. Deshalb seien Datenschutz und Transparenz wichtige Fragen.
Den zweiten Punkt nennt Vogel Industrie 4.0. Es gehe um Infrastrukturausbau und intelligente Vernetzung sowie das Mitdenken faszinierender neuer Ideen wie die neuen 3D-Drucker. Vogel wünscht sich, nicht nur das Abwandern nach Asien verhindern, sondern auch wieder Leistungen aus Asien nach Arnsberg zurückholen zu können. Punkt drei auf Vogels Liste ist der ständig wachsende Onlinehandel. Strategie soll es hier sein, die heimischen Einzelhändler dabei zu unterstützen, selbst stärker im Internet anzubieten.
Das Netz soll die Zukunft der Live-Events sichern
Punkt vier will unter dem Stichwort E‑Culture durch digitale Kommunikation die analoge Kultur stärken. Die Jugendumfrage habe gezeigt, wie wichtig jungen Menschen Live-Konzerte sind, sagte Vogel. Es gelte, das pure Live-Erlebnis zu sichern, indem es parallel im Netz mitverfolgt werden kann. Als Punkt fünf nennt Vogel Gesundheit und Pflege. Hier gehe es zum Beispiel um die Übernahme wiederkehrender technischer Leistungen durch Roboter. Bei Punkt sechs, dem Digitalen Ehrenamt, geht es um die Vernetzung Gleichgesinnter, um die Entwicklung und Umsetzung von Software, die die Stadt verbessert und verändert.
Neue soziale Frage
Letzter und wesentlicher Punkt auf Vogels Liste sind Digitale Souveränität und Medienkompetenz. Daten müssten auch Sinn machen. Jeder solle die Kompetenz haben, über seine Daten zu entscheiden, ohne Opfer von Mustern zu werden. Vogel sieht da auch eine neue soziale Frage und will durch Bildung für gleiche soziale Optionen sorgen.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass Datensicherheit und Digitale Souveränität große Bedeutung haben. Es ging aber auch um freies WLAN im öffentlichen Raum oder auch für die heimische Hotellerie. Dem steht derzeit noch die sogenannte Störerhaftung entgegen. Franz-Reinhard haben ist allerdings zuversichtlich! dass das Telekommunikationsgesetz schon bald nach der Europawahl geändert wird. Schließlich stehe das im Koalitionsvertrag.