Lins: Flüchtlinge erfordern tagtäglichen Kraftakt

Sun­dern. Die dra­ma­ti­schen Mel­dun­gen über die Flücht­lings­si­tua­ti­on in vie­len Städ­ten hat Sun­derns Bür­ger­meis­ter Det­lef Lins zum Anlass genom­men, mit sei­nen ver­ant­wort­li­chen Mit­ar­bei­tern Ste­phan Urny und Doris Weber das The­ma auf Sun­dern her­un­ter­zu­bre­chen und über die aktu­el­le Situa­ti­on zu infor­mie­ren. Noch sei es in Sun­dern rela­tiv ruhig, doch das sei nicht selbst­ver­ständ­lich, sag­te Lins. Dahin­ter ste­cke ein Kraft­akt, den die Mit­ar­bei­ter sei­nes Hau­ses tag­täg­lich zu bewäl­ti­gen haben, und für den er sich an die­ser Stel­le bedan­ken wol­le. Lins lob­te auch das enorm gro­ße ehren­amt­li­che Enga­ge­ment in der Stadt und bezeich­ne­te das dezen­tra­le Unter­brin­gungs­kon­zept als erfolgreich.

Familien bekommen eigene Wohnung

Woche für Woche gebe es der­zeit sie­ben bis zehn Neu­an­kömm­lin­ge, berich­tet Doris Weber, die für die Auf­nah­me der Flücht­lin­ge zustän­di­ge Abtei­lungs­lei­te­rin der Stadt­ver­wal­tung. Wenn man Glück habe, wür­den sie eine Woche vor­her von der Bezirks­re­gie­rung per Email ange­mel­det, oft aber nur zwei Tage vor der Ankunft. „Gemel­det wird etwa ‚fünf­köp­fi­ge syri­sche Fami­lie‘, da sind dann Spon­ta­nei­tät und kurz­fris­ti­ge Maß­nah­men gefragt“, berich­tet Doris Weber von einem Fall aus der letz­ten Woche. Erklär­tes Ziel ist es, Fami­li­en dezen­tral in eige­nen Woh­nun­gen unter­zu­brin­gen. Der­zeit ste­hen 30 städ­ti­sche und pri­va­te Woh­nun­gen für die­sen Zweck zur Ver­fü­gung, alle in der Kern­stadt, was den Neu­an­kömm­lin­gen die Wege erleich­tert. Dan­kens­wer­ter­wei­se sei­en nach den Auf­ru­fen bis­her sechs pri­va­te Woh­nun­gen zur Ver­fü­gung gestellt wor­den, so Lins, der auf wei­te­re Ange­bo­te hofft. Männ­li­che Ein­zel­per­so­nen wer­den in der ehe­ma­li­gen Diet­rich-Bon­hoef­fer-Schu­le unter­ge­bracht, wo bis­her drei von vier mög­li­chen Umbau­ab­schnit­ten fer­tig­ge­stellt sind. In städ­ti­schen Gemein­schafts­un­ter­künf­ten gibt es der­zeit rund 100 Plät­ze, von denen rund 60 besetzt sind. Bei Bedarf könn­ten noch zusätz­li­che Plät­ze in der Bon­hoef­fer-Schu­le geschaf­fen werden.

113 gekommen, 35 gegangen, 20 anerkannt

Die Pro­gno­se, wie­vie­le Flücht­lin­ge in Deutsch­land in die­sem Jahr ankom­men wer­den, steigt der­zeit in schnel­ler Fol­ge von 400.000 über 500.000 auf inzwi­schen 550.000. „Zum Ver­gleich: Auf dem Höhe­punkt des Jugo­sla­wi­en­kriegs 1993 waren es 438.000 Men­schen,“ macht Lins die Grö­ßen­ord­nung deut­lich. Die Auf­nah­me­quo­te von Sun­dern liegt bei 0,2011 Pro­zent der Gesamt­flücht­lings­zahl. Im gesam­ten Jahr 2014 sind Sun­dern 120 Flücht­lin­ge zuge­wie­sen wor­den. Mit Stich­tag 20. Juli 2015 ist die­se Zahl kurz nach der Jah­res­mit­te mit 113 Neu­an­kömm­lin­gen, dar­un­ter 31 Kin­der, schon fast erreicht. Die Gesamt­zahl der Asyl­be­wer­ber in der Stadt liegt damit aktu­ell bei 215. Es gibt auch zahl­rei­che Flücht­lin­ge, die Sun­dern „mehr oder weni­ger frei­wil­lig“ wie­der ver­las­sen, berich­tet Doris Weber. So sind in die­sem Jahr 35 Per­so­nen frei­wil­lig aus­ge­reist, in ihr Hei­mat­land abge­scho­ben wor­den oder nach dem Dub­li­ner Abkom­men in das EU-Land rück­ge­führt wor­den, wo sie erst­mals die EU betre­ten haben. 20 Asyl­be­wer­ber sind in die­sem Jahr aner­kannt wor­den und haben damit ihren Sta­tus gewech­selt. „Das geht der­zeit vor allem bei den Syrern recht schnell,“ so Doris Weber.

Viele Antragsteller vom Balkan

Mit 29 Neu­an­kömm­lin­gen in die­sem Jahr lie­gen die Syrer bei den Natio­na­li­tä­ten vorn. Afgha­nen, im letz­ten Jahr noch recht zahl­reich, sind in die­sem Jahr noch nicht gekom­men, dafür aber sie­ben Ira­ker. Mit ins­ge­samt 54 Per­so­nen stel­len die Bal­kan­län­der Alba­ni­en, Bos­ni­en, Koso­vo, Maze­do­ni­en und Ser­bi­en fast die Hälf­te der Asyl­su­chen­den. Staa­ten, bei denen die Ableh­nungs­quo­te durch die Bank bei 99 Pro­zent liegt. Bür­ger­meis­ter Det­lef Lins schließt sich hier ange­sichts des abseh­ba­ren Auf­ent­halt­sen­des den For­de­run­gen an, die Ver­fah­ren für die­sen Kreis noch wei­ter zu beschleu­ni­gen, „denn der Auf­wand für uns ist genau­so hoch wie etwa bei den Syrern“. Lins erin­nert dar­an, dass er des­halb bereits einem Fern­seh­sen­der im Koso­vo ein Inter­view gege­ben habe, in dem er deut­lich gemacht habe, dass in Deutsch­land die Bäu­me nicht in den Him­mel wach­sen. Doch das sei wohl recht frucht­los geblieben.

Fast 60 Prozent der Kosten bleiben bei der Stadt

Ste­phan Urny beleuch­te­te den finan­zi­el­len Aspekt. Denn zu den Auf­ga­ben der Kom­mu­ne gehö­ren die Unter­brin­gung und die Über­nah­me der Unter­brin­gungs­kos­ten, die Zah­lung von Leis­tun­gen, die Über­nah­me der Krank­heits­kos­ten im not­wen­di­gen Umfang und auch die sons­ti­ge Betreu­ung. Bis zum Jah­res­en­de rech­net Urny des­halb mit Kos­ten von rund 1,25 Mil­lio­nen Euro. Aus­ga­ben, die durch die Zuschüs­se von Land und Bund der­zeit nur zu etwas über 40 Pro­zent gedeckt wer­den, so dass über 700.000 Euro den Sun­derner Haus­halt belas­ten. Und dabei sind die Pero­nal­auf­wen­dun­gen der Stadt noch nicht ein­mal mit­ge­rech­net. Zwei­ein­halb Stel­len sei­en der­zeit allein für die­se Auf­ga­be vor­ge­se­hen, so Doris Weber. Hin­zu kom­men die Arbeit der Leis­tungs­ab­tei­lung und stra­te­gi­sche Sit­zun­gen, die ziem­lich viel Zeit bean­spru­chen. „Unheim­lich wich­tig,“ so Doris Weber, sei es, dass ein städ­ti­scher Mit­ar­bei­ter regel­mä­ßig vor Ort prä­sent ist – in den Unter­künf­ten und auch in den Fami­li­en­woh­nun­gen, denn so könn­ten Pro­blem­la­gen und even­tu­el­le Miss­stim­mun­gen früh­zei­tig erkannt und die Ursa­chen besei­tigt werden.

Zwei Auffangklassen und Kindergartenplätze

„Tol­le Arbeit mit einer sehr indi­vi­du­el­len För­de­rung“ wer­de in den bei­den Auf­fang­klas­sen in der Mari­en­schu­le und der Haupt­schu­le geleis­tet, sagt Doris Weber, die sich selbst ein Bild vom Unter­richt dort gemacht hat. Denn für Flücht­lings­kin­der gilt gene­rell die Schul­pflicht, auch wenn ein Ende des Auf­ent­halts abseh­bar ist. Die Kin­der wech­seln in die regu­lä­ren Klas­sen, sowie sie kön­nen. Für klei­ne Kin­der mit dau­er­haf­ter Blei­be­pro­gno­se wer­den in Sun­dern auch schnellst­mög­lich Kin­der­gar­ten­plät­ze gesucht. Die Auf­nah­me einer regu­lä­ren Arbeit ist für die Flücht­lin­ge frü­hes­tens nach 15 Mona­ten zuläs­sig. Gemein­nüt­zi­ge Arbeit im städ­ti­schen Bau­be­triebs­hof ist aber sofort möglich.

Großer Wunsch, Deutsch zu lernen

Gro­ßes Lob aus dem Rat­haus gibt es auch für die Sprach­kur­se, die im Ver­bund von VHS, Cari­tas und Ehren­amt­lern orga­ni­siert wer­den. Denn Sprach­kur­se sei­en für noch nicht aner­kann­te Asyl­be­wer­bern nicht selbst­ver­ständ­lich, der Wunsch, Deutsch zu ler­nen, bei den Flücht­lin­gen aber groß. Sehr hilf­reich sei auch die ehren­amt­lich orga­ni­sier­te Kin­der­be­treu­ung, die es auch Müt­tern ermög­li­che, an den Sprach­kur­sen teilzunehmen.

Fahrräder gesucht – Sachspenden über GAB

Sehr groß ist auch die Spen­den­be­reit­schaft der Sun­dern. Jeden Tag gebe es Anru­fe mit Ange­bo­ten von Bür­gern, sagt Lins und bit­tet um Ver­ständ­nis, dass die Stadt mit der Abwick­lung von Sach­spen­den über­for­dert ist. Geld­spen­den und auch die der­zeit sehr gefrag­ten Fahr­rä­der kön­ne die Stadt wei­ter­ver­mit­teln. Doch ins­be­son­de­re bei Kleider‑, Spiel­zeug- und Möbel­spen­den ver­weist der Bür­ger­meis­ter an die GAB Sun­dern, die über eine Klei­der­kam­mer und ein Möbel­la­ger ver­fügt. Jeder, der etwas geben wol­le, sol­le dort unter 02933 77024 anru­fen und zunächst anfra­gen, ob Bedarf bestehe.

Auf die nach­fra­ge, ob auch in Sun­dern mit der Ein­rich­tung einer Not­un­ter­kunft zu rech­nen sei, wie dies in Arns­berg am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de gesche­hen ist, sagt der Bür­ger­meis­ter, dass er die­se Mög­lich­keit nicht sehe, allein schon, weil Sun­dern kein aus­rei­chend gro­ßes Gebäu­de zur Ver­fü­gung habe.

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