Arnsberg. Unter dem Motto #wirsindmehr startete das Berufskolleg am Eichholz einen Gedenktag zur Erinnerung an die Gräueltaten in der Reichspogromnacht am 9. und 10. November vor 80 Jahren. Eingeladen dazu waren Ferdi Franke als Zeitzeuge und Volker Kohlschmidt als Referent für Jugendarbeit mit dem Schwerpunkt Gewalt- und Rassismusprävention der evangelischen Kirche von Westfalen. Anschließend formierten sich die Schülerinnen und Schüler zu dem Schriftzug #wirsindmehr und setzten somit ein Zeichen gegen Rassismus.
Gedenktag zur Reichspogromnacht
Vor achtzig Jahren, am 9. November 1938, brannten in Deutschland die Synagogen, das Inventar wurde verbrannt, die sakralen Gegenstände geschändet, Jüdische Häuser und Geschäfte geplündert, jüdische Mitbürger schikaniert, misshandelt und einige sogar getötet, viele Juden kamen ins Konzentrationslager. „Diese Ereignisse geschahen in ganz Deutschland, auch hier in Arnsberg“, erläutert Schulseelsorger Roland Piontek, der zusammen mit Schülern und Schülerinnen der Klasse 12 des beruflichen Gymnasiums sowie Schulsozialarbeiterin Brigitte Brenner und Lehrer Dennis Nolte den Aktionstag geplant hat.
Geplante und angeordnete Ausschreitungen
Um das Ausmaß dieser Gräueltaten zu begreifen, sei es wichtig, den geschichtlichen Kontext zu verstehen, so Piontek. Damit entpuppe sich der „spontane Volkszorn“, der sich nach der Ermordung eines Mitarbeiters der deutschen Botschaft in Paris durch einen Juden in den Ausschreitungen Bahn brach, schnell als von den Nazis geplante und nach einer Rede von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels von Gauleitern und SA-Führern per Telegramm angeordnete Aktion. Die so entfesselte Gewalt gegen die jüdischen Mitbürger stellte einen weiteren Schritt der 1933 eingeleiteten Diskriminierung der Juden bis zu ihrer systematischen, millionenfachen Ermordung während des Zweiten Weltkrieges dar.
Antisemitismus auch heute ein Thema
„Das alles hört sich weit weg an“, konstatiert Volker Kohlschmidt. Der Referent für Jugendarbeit mit dem Schwerpunkt Gewalt- und Rassismusprävention der evangelischen Kirche von Westfalen verweist daher auf das Attentat vor zwei Wochen in Pittsburgh auf eine Synagoge, bei dem der Angreifer bewusst auf die Vernichtung von Juden abgezielt hat. Als weiteres Beispiel nennt er aktuelle antisemitische Gewalttaten in Berlin. Antisemitismus sei damit auch heute noch ein schwerwiegendes und ernstzunehmendes Thema. Insofern müsse man sich die Geschichte immer wieder in Erinnerung rufen. „Die für uns unvorstellbaren statistischen Zahlen dieser Verbrechen lassen sich dabei schlecht begreifen“, so Kohlschmidt. Greifbarer werde sie hingegen durch die Betrachtung einzelner Schicksale.
Empathie zeigen
Am Beispiel der jüdischen Familien Abt und Theisebach, die zur Zeit des Nationalsozialismus den Verbrechen der Nazis in Arnsberg ausgeliefert waren, verdeutlichte somit Ferdi Franke, der sich gewissermaßen noch als Zeitzeuge versteht, die Ausmaße der Gräueltaten der Nazis. Franke selbst war zwar zur Zeit der Reichspogromnacht als vierjähriges Kind noch zu klein, als dass er zu diesem Zeitpunkt die Ausmaße hätte begreifen können. Dennoch prägten sich die Bilder dieser Zeit dem heranwachsenden Kind dermaßen ein, dass er sich zeitlebens für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte und gegen das Vergessen einsetzte. Doch was kann man heute ganz konkret gegen das Vergessen tun? „Das Wichtigste ist, dass wir anderen Menschen gegenüber empathisch sind“, sagt Kohlschmidt. Wer Empathie zeige, der könne schlecht hassen.
Schülerinnen und Schüler aus über 40 Nationen
In diesem Sinne versteht sich dann auch die Aktion, die die Schülerinnen und Schüler zu diesem Tag geplant haben. Niemand werde mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischer Herkunft oder Religion geboren. Hass werde erlernt. Und wer Hass lernen könne, der könne auch lernen zu lieben, sagt Schülerin Patrizia Neuhaus und betont: „Wir sind mehr, wir sind eine Schule, eine Gemeinschaft und uns bestärkt die Vielfalt, die wir haben.“ Die Schülerin verweist darauf, dass am Berufskolleg am Eichholz Schülerinnen und Schüler aus über 40 Nationen vertreten sind und ruft dazu auf, gemeinsam ein Zeichen für ein friedliches und wertschätzendes Miteinander zu setzen. Genau genommen sind es dann zwölf Zeichen, die zusammengesetzt den Hashtag „#wirsindmehr“ ergeben. Schülerinnen und Schüler aus allen Bildungsgängen des BKAE formieren sich zu diesen Schriftzug und dokumentieren ihr Statement mithilfe einer Drohne. Zum Abschluss des Tages werden heliumgefüllte – aber biologisch abbaubare – Luftballons in Form von Weltkugeln steigen gelassen, an die Postkarten mit dem Motto des Tages angehängt worden sind.