Sundern. Die schier unendliche Geschichte der Suche nach Windkraftstandorten im Sunderner Stadtgebiet hat ein weiteres spektakuläres Kapitel. Bürgermeister Brodel eröffnete den Politikern am Donnerstag abend – zum Abschluss einer langen Haupt- und Finanzausschusssitzung und wenig mehr als eine halbe Stunde vor dem Anpfiff des Deutschland-Spiels – dass die geplante Abstimmung am kommenden Donnerstag im Stadtentwicklungsausschuss (SUI) nicht stattfinden könne, da der Ausschuss bei diesem Tagesordnungspunkt keinen Vorsitzenden haben werde. Sowohl der Vorsitzende Markus Allefeld (CDU) als auch der Stellvertreter Jürgen ter Braak (SPD) haben sich bei diesem Punkt für befangen erklärt.
Rat muss zweiten Stellvertreter wählen
Weil der Ausschuss selbst in seiner Sitzung keinen weiteren Vorsitzenden wählen kann, sondern dies nach Rechtsauffassung der Stadtverwaltung nur im Rat geschehen kann, gab es eine rege Diskussion über das weitere Vorgehen. Weil niemand drei weitere Monate an Zeit verlieren wollte, aber auch die Kosten für die zusätzliche Einberufung einer Dringlichkeitsratssitzung gespart werden sollen, einigte man sich darauf, in der nächsten Ratssitzung am 30. Juni zunächst einen – nicht befangenen – zweiten stellvertretenden Vorsitzenden für den SUI-Ausschuss zu wählen und noch am gleichen Abend auch eine Sitzung des SUI einzuberufen, um den Windkraftbeschluss unter Dach und Fach zu bringen. Dies könnte dann angesichts der gut gefüllten Tagesordnung der Ratssitzung möglicherweise erst zu nächtlicher Stunde geschehen.
SPD-Vorstoß: Rat soll entscheiden
SPD-Fraktionschef Michael Stechele will in der Ratssitzung auch darüber abstimmen lassen, ob der Rat den Aufstellungsbeschluss wieder an sich zieht. Denn er wolle nicht, dass „übermorgen wieder alles Tulux ist“ und fürchte, dass der Rat Monate später beim abschließenden Satzungsbeschluss mit einer anderen Mehrheit den Aufstellungsbeschluss wieder kippen könnte.
Derzeit liegt die Entscheidung für die Aufstellung der Flächennutzungsplanänderung, bei der auch die konkreten Flächen der künftigen Windkraftvorrangzonen festgelegt werden, beim SUI-Ausschuss. Der Rat stimmt nur darüber ab, ob der fertige Plan auch zur Satzung wird, was in der Regel eine Formsache ist. Die Ratsmitglieder haben diese Vorgehensweise selbst festgelegt mit der Begründung, dass im SUI-Ausschuss der konzentrierte Sachverstand sitzt und dort die Politiker entscheiden, die in der Materie sind und am gesamten Verfahren mitgewirkt haben. Das werde in diesem Fall allerdings durch die Befangenheitsregelung konterkariert, so Stechele. Denn die Fraktionen könnten für ihre befangenen Ausschussmitglieder bei der Abstimmung Ersatzmitglieder stellen, die dann naturgemäß aber nicht voll in der Materie steckten. Bei der Ratsentscheidung sieht die Befangenheitsregelung anders aus. Hier können die Fraktionen befangene Mitglieder nicht ersetzen. Die Stimmen fallen bei der Abstimmung einfach unter den Tisch. In anderen Städten des Sauerlands hat es bereits Extremsituationen gegeben, in denen von über 40 Ratsmitgliedern nur noch sieben übrig waren. Und von einer „Abbildung des Wählerwillens“ ist in diesen Rumpfräten selten viel übrig geblieben.
Streitpunkt Abbildung des Wählerwillens
Kurzzeitig wollte sich jetzt in der HAFi-Sitzung CDU-Fraktionschef Stefan Lange dem Vorstoß seines SPD-Kollegen Michael Stechele anschließen, dass der Rat den Aufstellungsbeschluss wieder an sich ziehe, „weil der Ausschuss handlungsunfähig ist“. Doch angesichts der heftigen anschließenden Diskussion nahm er davon wieder Abstand. Vor allem Klaus Tolle, fraktionsloses ehemaliges CDU-Ratsmitglied und langjähriger Ex-Vorsitzender des Fachausschusses, forderte vehement, dass bei einer Ratsabstimmung der Wählerwille abgebildet bleiben müsse und Fraktionen, die anteilig weniger befangene Mitglieder haben als andere, freiwillig Mitglieder zurückziehen. Eine Regelung, die bei Einzelkämpfern und Minifraktionen dazu führen würde, dass sie womöglich überhaupt nicht mitstimmen dürften. Siegfried Huff von der Linken kündigte sofort an, dass er keineswegs zu Hause bleiben und notfalls klagen werde. Dorothee Thiele (FDP) verwies darauf, dass bei Abstimmungen zu Schulstandorten die Situation ähnlich gewesen sei. „Total daneben und gruselig“ nannte Toni Becker (Grüne) die Befangenheitsregelung. Was in der Großstadt Sinn mache, sei auf dem Land völlig unpragmatisch, weil hier fast jeder jemanden in der Verwandschaft habe, der Flächen besitze. Werner Kaufmann (BüSo) forderte, endlich mit dem Pingpong aufzuhören und am 30. Juni zu entscheiden.
Befangenheitsregelung „kein Spaß“
Bürgermeister Ralph Brodel mahnte – inzwischen zum vierten Mal, wie er sagte – alle Rats‑, Ausschuss- und Ersatzmitglieder, nochmals zu überprüfen, ob sie nicht befangen seien. Das sei kein Spaß, es gehe nicht um ein 10-Euro-Knöllchen, sondern möglicherweise um Klagen auf entgangenen Gewinn von zwei Millionen Euro. „Jeder, der auf die Nase fällt, fällt ganz alleine“, so der Bürgermeister. Seine Ankündigung, im Rathaus werde um 21 Uhr der Strom abgeschaltet, wenn die Sitzung noch nicht zu Ende sei, brauchte Brodel nicht wahr zu machen. Gerade noch rechtzeitig zum Fußball war Feierabend. Stefan Lange, Sebastian Booke und Marc-Oliver Stiewe hatten ihre Fan-Trikots sicherheitshalber schon während der Sitzung an.