Sundern. Das gesamtstädtische Plankonzept zur Ermittlung von Potentialflächen für die Windenergienutzung im Stadtgebiet Sundern – oder einfacher, die Frage, wo denn künftig diese Spargel, die bis zur Rotorspitze über 200 Meter hoch sein können und landauf, landab für viel Aufregung sorgen, errichtet werden dürfen – kommt voran. Der Fachausschuss für Stadtentwicklung, Umwelt und Infrastruktur hat sich in seiner jüngsten Sitzung weitere rund drei Stunden ruhig und sachlich mit dem Thema befasst und die mögliche Kulisse für Windräder in Sundern weiter eingeengt, wobei die Entscheidungen mit breiter Mehrheit von CDU, FDP und weiten Teilen der SPD fielen. Grüne und WiSu konnten sich mit ihren Forderungen nach größeren Schutzzonen für den Schwarzstorch nicht durchsetzen. Den entscheidenden Schritt werden die Politiker am 2. Dezember gehen, wenn sie politisch entscheiden, welche der jetzt noch verbliebenen Gebiete tatsächlich im Rahmen des Flächennutzungsplans ausgewiesen werden sollen. Bis dahin steht ihn noch die Lektüre von rund 1500 Seiten Entscheidungshilfe bevor. Die Sunderner Stadtplaner arbeiten derzeit mit Hochdruck an dieser detaillierten Bewertung aller Flächen und wollen sie in zwei Wochen vorlegen.
Ohne Plan droht der Windrad-Wildwuchs
Mahnende Worte hörten die Politiker einige an diesem Abend. „Auch Sundern muss seinen Beitrag zur Energiewende leisten!“ stellte der Beigeordnete Meinolf Kühn klar. Und Stadtplaner Lars Ohlig malte recht drastisch die Folgen aus, wenn die Politiker sich nicht auf einen Plan einigen könnten. Dann könne praktisch überall im Stadtgebiet der Bau von Windkraftanlagen beantragt werden. Der Ausschussvorsitzende Klaus Tölle forderte seine Kollegen auf, sich die Entscheidung bei diesem hochsensiblen Thema nicht einfach zu machen und schon gar nicht Kirchturmsdenken an den Tag zu legen. Danach verabschiedete er sich mit den Worten „Das tut weh!“ und übergab den Vorsitz an seinen Stellvertreter Jürgen ter Braak. Tölle war als Grundbesitzer befangen wie auch viele seiner Kollegen. Die CDU musste deswegen die Stammmannschaft des SUI-Ausschusses fast komplett auswechseln.
Visualisierung ohne Bilder des Schreckens
Anschließend präsentierte André Normann vom Büro imp die vom Sunderner Rat in Auftrag gegebene Visualisierung, die die optische Wirkung von möglichen Windkraftanlagen im Stadtgebiet zeigen soll. Ein Vorführung mit 35 Fotomontagen und ein vollständiges 3D-Modell des gesamten Stadtgebiets von Sundern, was die Politiker sehr interessierte, aber weder sie noch die zahlreichen Zuschauer im Raum auch nur ein einziges Mal zu lauten „Ohhhs!“, „Ahhhs!“ oder Schreckensrufen veranlasste. „Wir zeigen reale Gegebenheiten, wollen weder dramatisieren noch beschönigen“, sagte Normann. Und auch Lars Ohlig fand: „Jetzt sind wir alle etwas schlauer!“ Denn diese Bilder, so Ohlig weiter, sähen doch anders aus als manche Visualisierung, die bisher im Umlauf war, wo einer „eine Windkraftanlage aus einem Prospekt ausgeschnitten und auf ein Foto aufgeklebt“ habe. Gezeigt wurden Bilder aus allen Sunderner Ortsteilen, teils in verschiedene Richtungen. Kritik kam, dass die Fotostandorte nur selten in den Ortskernen lägen. Dort, so Ohlig, seien die Anlagen häufig, vor allem in engen und tiefen Tallagen, überhaupt nicht zu sehen oder es tauchten gerade mal Teile der Rotorblätter zwischen Gebäuden, Bäumen und Schildern auf.
Herumgeisternde Zahl von 169 Anlagen „komplett fiktiv“
Die Visualisierung, die am Donnerstag abend in der Schützenhalle im Rahmen einer Bürgerversammlung auch der Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist von 73 Windrad-Standorten im Sunderner Stadtgebiet ausgegangen. Die Zahl von 169, die immer durch die Diskussion geistere, sei „komplett fiktiv“, sagte Ohlig. Für die Visualisierung habe er in jedem Gebiet zunächst die höchste Kuppe mit einer Anlage belegt und dann unter Einhaltung der Mindestabstände weitere hinzugefügt. Bei anderer Anordnung könne man dort jeweils auch ein paar mehr oder weniger unterbringen. Die Bürger, die am Donnerstag nicht in die Schützenhalle gehen, können sich die Visualisierung in Kürze auf der Stadtseite im Internet ansehen. Das hatte die FDP beantragt und der Ausschuss stimmte zu. Das 3D-Modell wird allerdings nur mit einzelnen Fotos und Videos zu sehen sein, da es komplett mit 50 Gigabyte viel zu groß wäre. Einige in der Sitzung noch sichtbare Windräder werden auch nicht mehr zu sehen sein, weil deren Standorte im weiteren Verlauf der Sitzung noch aus der Kulisse genommen wurden, so etwa ein großes Wasserschutzgebiet südlich von Dörnholthausen.
Der Schwarzstorch spaltet die Fraktionen
Der nächste Referent war Bertram Mestermann aus Warstein, der ein aktualisiertes Artenschutzgutachten für die vier windkraftrelevanten Vogelarten vorlegte. Der Baumfalke war schnell abgehakt, da es in Sundern nur ein Brutpaar weitab von allen möglichen Windkraftstandorten gibt. Der Uhu ist dagegen recht häufig und für den Rotmilan und den Schwarzstorch sind Sundern laut Gutachter ein Lebensraum von herausragender Bedeutung. Von bundesweit etwa 500 Brutpaaren des Schwarzstorchs sollen in Sunderns südlichen Wäldern allein sechs leben. Anders als der Rotmilan, der furchtlos auf die drehenden Rotoren zufliegt und nicht selten getroffen und getötet wird, ist der Schwarzstorch ein scheuer Geselle. Er meidet die Rotoren und fühlt sich gestört, wenn Anlagen zu nah an seinem Horst, den er mitten im Wald errichtet, oder an den Flugrouten zu den Nahrungsquellen liegt. Hier lag dann auch die unterschiedliche Sichtweise der Fraktionen. Bei Rotmilan und Uhu waren sich alle einige, dass ein Schutzradius von einem Kilometer um die Horste genügt. Beim Schwarzstorch blieb es am Ende mit CDU‑, FDP- und SPD-Stimmen auch bei einem Kilometer. Die Grünen wollten drei Kilometer, die WiSu als Kompromiss anderthalb.
Der Grat ist schmal, das Verwaltungsgericht nahe
„Wieder hat der Artenschutz verloren,“ kommentierte Vogelschützer Herbert Bartetzko die Abstimmung. Lars Ohlig hatte dagegen eindringlich davor gewarnt, einen Drei-Kilometer-Radius festzulegen, denn dadurch werde das große Gebiet im Süden Sunderns fast völlig aus der Kulisse genommen und es bestehe eine große Gefahr, das der komplette Sunderner Plan vom Verwaltungsgericht gekippt werde, weil er insgesamt das Recht, Windkraftanlagen zu bauen, zu sehr beschneide. Mit Klagen, so Ohlig, sei hinterher von der einen wie der anderen Seite ohnehin zu rechnen und man wandele auf einem schmalen Grat, den es möglichst genau zu treffen gelte. Er erinnerte auch daran, dass jede einzelne Windkraftanlage, wenn sie denn gebaut werden soll, nochmals umfassend geprüft wird und auch dann noch Beeinträchtigungen durch Bau oder Betrieb zu Ablehnung oder Auflagen führen können.
Der Uhu killt Standorte bei Hachen und Melschede
Am Ende dieses Tages war die Kulisse für Windkraft in Sundern auf rund 30 Quadratkilometer geschrumpft, rund 15 Prozent des Stadtgebiets und damit, so Lars Ohlig, immer noch eine „substanzielle“ Fläche. Von sieben relativ geschlossenen Gebieten waren vor allem Dank des Uhus zwei ganz unter den Tisch gefallen, das Gebiet nordwestlich von Hachen zur Arnsberger Stadtgrenze und das Gebiet bei Schloss Melschede. Das Gebiet westlich von Allendorf ist durch die Abstandsflächen bewohnter Einzelgebäude kurz hinter der Neuenrader Stadtgrenze in zwei Teile geteilt worden, das große Gebiet auf der Hellefelder Höhe durch Vogelhorste sowie Naturschutz- und FFH-Gebiete sogar in drei Teile. Das mittelgroße Gebiet bei Saal ist angeknabbert worden, das ganz große zwischen den Ortslagen von Hagen, Wildewiese, Allendorf, Stockum, Endorf, Linnepe und Meinkenbracht ist ziemlich zerfleddert. Dieses Gebiet ist allein aber immer noch 13 Quadratkilometer groß und die Planer wollen es bei der anstehenden Bewertung gerne aufteilen, voraussichtlich entlang der Landstraße Endorf-Meinkenbracht. Relativ unbeschädigt ist das letzte Gebiet geblieben, der Höhenrücken zwischen Sunderner Kernstadt und Sorpesee.
1500 Seiten abwägungsrelevantes Material für die Politiker
Zu diesen Gebieten werden die Planer den Politikern jetzt die 1500 Seiten „abwägungsrelevantes Material“ als Entscheidungsgrundlage an die Hand geben. Dabei werden zahlreiche weitere weiche Standortfaktoren bewertet – Topografie, Hauptwindrichtung, Schattenwurf, Landschaftsbild, Erholunsgebiete und Wanderrouten, Erfordernisse von Forstwirtschaft und Luftfahrt und einiges mehr. Die Planer werden den Politikern für die entscheidende Sitzung am 2. Dezember auch eine konkrete Beschlussempfehlung geben, welchen Gebieten sie den Vorzug geben.
Umzingelung von Meinkenbracht städtebaulich nicht wünschenswert
Ziemlich sicher dürfte bei diesem Beschlussvorschlag der Höhenrücken zwischen Sundern und Sorpesee dabei sein, denn es klang bereits an, dass hier relativ wenig weiche Faktoren zusammenkommen, die gegen das Gebiet sprechen, und deshalb eine Nichtberücksichtigung bei einem möglichen Gerichtsverfahren schwer zu begründen sei könnte. Das abgetrennte Gebiet zwischen Endorf, Linnepe und Meinkenbracht hat dagegen gute Chancen, nicht berücksichtigt zu werden. Zum einen sind hier die Hänge besonders steil, zum anderen böte sich die Möglichkeit, die Umzingelung von Meinkenbracht aufzubrechen, was, so Lars Ohlig, „städtebaulich wünschenswert“ sei. Denn derzeit ist die Meinkenbrachter Hochfläche noch komplett von potenziellen Windkraftgebiet umgeben, auf drei Seiten von Sunderner Flächen und hinter der Stadtgrenze Richtung Grevenstein auch von Mescheder Flächen. Ein Knackpunkt wird sicher die Hellefelder Höhe. Wenn hier Windkraft zugelassen wird, dürften die Flächen nicht mehr zum Erholungsgebiet Altes Testament gehören. Man könne die Grenzen des Erholungsgebiets ändern, sagte Lars Ohlig. Aber welche Folgen das für das Restgebiet habe, könne er nicht sagen.