Neheim. Es war kein einladender Tag, an dem allzu viel Menschen auf den Gedanken kamen, am Ufer der Ruhr im Neheimer Binnerfeld zu radeln, zu joggen oder zu spazieren geschweige denn sich niederzulassen, um die Natur zu erleben, zu beobachten und sich in ihr zu entspannen und zu erholen. Es regnete ausgiebig und Dr. Gotthard Scheja, Chef des Arnsberger Umweltbüros, war schon froh, dass der Regen nur von oben und nicht von vorne kam, und so sein großer Hut einigermaßen Schutz bot. Der Terminkalender hatte es so gewollt, dass er mit einem guten Dutzend Begleiter eine ausgiebige Besichtigungstour entlang der renaturierten Ruhr unternahm, die sich an diesem Tag schwarzbraun und schnell fließend präsentierte und mit ihrem hohem Wasserstand die selbst geschaffene Welt von Kiesbänken und kleinen Inselchen, Fließrinnen und stehenden Gewässern weitgehend verbarg. Aber der Auftakt des Projekts „Wildnis in der Stadt“ stand an und Vertreter der Deutschen Umwelthilfe und der Bundesstiftung Umweltschutz waren eigens aus Berlin und vom Bodensee angereist, um mit den Akteuren vor Ort den Startschuss zu geben und das Objekt in Augenschein zu nehmen, das jetzt bis Ende 2016 im Mittelpunkt der Untersuchung steht.
Nach technischer folgt jetzt die kulturelle Leistung
„Ein total spannendes Projekt,“ befand Bürgermeister Hans-Josef Vogel. Denn es gebe nicht nur die große Wildnis etwa in den Weiten Nordamerikas, sondern auch die kleine Wildnis. Mit der innerstädtischen Ruhrrenaturierung sei in den letzten Jahren in Arnsberg eine ganz veränderte Welt geschaffen worden, die der Stadt viel vor allem immateriellen Wohlstand beschert habe. Nach der weitgehend abgeschlossenen technischen Leistung müsse jetzt die kulturelle Leistung folgen. Es gelte, die widersprüchlichen Interessen miteinander zu vereinbaren, zu ordnen, Zugänge für die Menschen zu dieser Wildnis zu schaffen, aber auch zu erklären und Akzeptanz zu schaffen, wo der Schutz der Natur im Vordergrund stehe. Und dies werde nicht irgendwo an einem grünen Tisch entschieden, sondern indem Menschen miteinander sprechen und zu guten Ergebnissen kommen. Er lud alle Interessierten ein, sich über Facebook oder Twitter am Diskussionsprozess zu beteiligen und auch eigene Ideen einzubringen.
Arnsberg in einer Reihe mit Berlin und Leipzig
Erwähnenswert ist, dass Arnsberg als eine von nur vier Projektstädten bundesweit in einer Reihe mit Berlin, Leipzig und Gelsenkirchen steht. Ulrich Stöcker, Abteilungsleiter Naturschutz bei der Deutschen Umwelthilfe in Berlin, sagte, dass man bei der Suche nach den Projektstädten ziemlich schnell auf Arnsberg gekommen sei, denn hier sei „schon ganz ganz viel passiert“ und es gebe bereits große Wildnisflächen in der Stadt mit einem relativ großen Besucherdruck. Das besondere an Arnsberg sei, dass es hier um Gewässer gehe und nicht um ehemalige Industrieflächen wie in den drei anderen Städten. Von Arnsberg erhofft sich die Umwelthilfe kurz gesagt eine modellhafte Umsetzung, wie man die Bedürfnisse des Eisvogels und der Erholungssuche unter einen Hut bringt.
„Ohne Zugang auch keine Akzeptanz“
„Eine Frage, die nicht ganz ohne ist“, wie Stöcker sagte. Denn eigentlich, so Dr. Scheja, ist der gesamte Flußlauf der Ruhr FFH-Fläche und Naturschutzgebiet der höchsten Schutzstufe. „Das bedeutet, ein Betreten abseits der angelegten Wege ist nicht gestattet“, erläutert Thomas Bitter von der Unteren Landschaftsbehörde beim HSK. Ein Verbot, das bei 555 Naturschutzgebieten im HSK aber niemand kontrollieren könne und wolle. „Die Erfahrung lehrt, ohne Zugang für die Bevölkerung ist eine Akzeptanz nicht möglich,“ so Stöcker. „Naturschutz hinter Zäunen und Gittern wollen wir nicht“, sagte Bürgermeister Vogel. „Aber wenn man mir erklärt, warum ich bestimmte Flächen nicht betreten darf und welche Tiere da leben, dann verstehe ich das und sage toll.“ Bitter berichtete, dass man auf der Hochfläche des Kahlen Astens, wo der Besucherdruck ebenfalls groß sei und die Wege immer breiter geworden sei, das Problem mit gezielten Maßnahmen einigermaßen in den Griff bekommen habe.
Viele Ideen von Side-Jogging bis Ausstellungen
An diesen gezielten Maßnahmen wird die Projektgruppe in den kommenden knapp zwei Jahren arbeiten. Konkrete Ideen gibt es bereits, etwa Naturspaziergänge zum NRW-Naturschutztag im Mai oder Aktionen wie Side-Jogging oder Side-Walking entlang der Naturschutzflächen. Auch zusätzliche Informationstafeln wird es sicher geben. Spezielle Unterrichtseinheiten für Schulen könnten entwickelt werden, Ausstellungen vor Ort veranstaltet werden. Besprochen wird auch, wo die eifrig wachsenden Büsche und Bäume, die in den letzten vier Jahren so manchen Blick zugewuchert haben, zurückgeschnitten werden können, um wieder Einblicke zu geben, und wo dies tunlichst zu unterlassen ist. Auch über Stellen, wo man direkt ans oder sogar ins Wasser gehen kann, wird nachgedacht werden, oder über ein Platz für ein Lagerfeuer vielleicht auch. Sommerliche Parties auf einer der Kiesbänke oder Inseln, wie es sie schon gegeben hat, werden aber eher nicht zu den Modellergebnissen gehören.
Angler und Generation Zukunft mit im Boot
Mitglieder der Projektgruppe sind neben den beiden bundesweiten Umweltorganisationen die Umwelt- und Naturschutzbehörden vor Ort, der ehrenamtliche Naturschutz, aber auch die Neheimer Angler, die Jugendlichen des Projekts Generation Zukunft, die sich bereits intensiv mit einem spannenderen Freizeitangebot entlang der Ruhr auseinandergesetzt haben, und nicht zuletzt auch die angrenzende Gastronomie. „Das hier ist das best gelegene Gastronomieobjekt in ganz Arnsberg,“ sagte Dr. Scheja zu den Gästen aus der Ferne und ein Blick ins R‑Café gab im Recht. Die Gästezahl war für einen verregneten Nachmittag unter der Woche erstaunlich.
Eine Beteiligung am Diskussionprozess ist über die Sozialen Medien Facebook (facebook.com/WildnisArnsberg) und Twitter (@wildnisAR) möglich.