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Vor 75 Jahren traf Neheim die Möhnekatastrophe

In Neheim rich­te­te die Flut­wel­le schwers­te Ver­wüs­tun­gen an. (Foto: Archiv Ruhrverband)

Neheim. Am Don­ners­tag, 17. Mai 2018, jährt sich zum 75. Male die „Möh­ne­ka­ta­stro­phe“. Das Wort bezeich­net die Fol­gen der Zer­stö­rung der Möh­n­etal­sper­re durch Flug­zeu­ge der bri­ti­schen Luft­waf­fe in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943. Eine Flut wälz­te sich durch die Täler von Möh­ne und Ruhr. Sie rich­te­te beacht­li­che Zer­stö­run­gen an und töte­te vie­le Men­schen. Allein in Neheim star­ben 859, dar­un­ter 712 Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­ter sowie Kriegs­ge­fan­ge­ne. Die meis­ten von ihnen wur­den in einem gro­ßen Lager in den Möh­ne­wie­sen von der Flut­wel­le über­rascht. Das Ziel, die Rüs­tungs­pro­duk­ti­on im Ruhr­ge­biet nach­hal­tig zu behin­dern, wur­de nicht erreicht.

Mahnung und Hoffnung

Durch die 80 Meter brei­te Lücke in der Stau­mau­er ström­ten bin­nen weni­ger Stun­den über 100 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Was­ser aus.(Foto: Archiv Ruhrverband)

An den Angriff auf die Möh­n­etal­sper­re wird bis heu­te in Deutsch­land und Groß­bri­tan­ni­en beson­ders erin­nert. Dies gilt beson­ders für die Bevöl­ke­rung an Möh­ne und Ruhr. Hier der Angriff mit sei­nen Fol­gen ein fes­ter Bestand­teil des Kriegs­ge­den­kens. „An eines der schlimms­ten Ereig­nis­se der Nehei­mer Stadt­ge­schich­te zu erin­nern und zugleich für Frie­den zu mah­nen ist eine Ver­pflich­tung, ver­bun­den mit der Hoff­nung, dass die Men­schen aus der Geschich­te ler­nen“, sagt Stadt­spre­cher Elmar Ket­te­ler und lädt alle Bür­ge­rin­nen, Bür­ger und Gäs­te der Stadt zur Teil­nah­me an den Gedenk­ver­an­stal­tun­gen ein.

Ausstellungen und Gedenkgottesdienst

Die Opfer in den Möh­ne­wie­sen ste­hen im Mit­tel­punkt einer Aus­stel­lung, die am Sonn­tag, 13. Mai, im Nehei­mer Kunst­werk, Möh­ne­stra­ße 59, eröff­net wur­de. Die Aus­stel­lung ist ein Pro­jekt der Bür­ger­stif­tung Arns­berg und der Künst­le­rin Astrid Breu­er mit Schü­le­rIn­nen des St. Ursu­la Gym­na­si­ums. Das The­ma: Jun­ge Men­schen schaf­fen Erin­ne­rung – Sieb­zehn Por­traits ste­hen stell­ver­tre­tend für hun­der­te Zwangs­ar­bei­te­rin­nen, wel­che 1943 im Lager auf den Möh­ne­wie­sen durch die Flut­wel­len der Möh­ne­ka­ta­stro­phe ums Leben gekom­men sind.

Am Don­ners­tag, 17. Mai, selbst fin­det in der Kir­che St. Johan­nes ein öku­me­ni­scher Gedenk­got­tes­dienst mit einer Schwei­ge­mi­nu­te an der Gedenks­te­e­le neben der Kir­che am Nehei­mer Markt statt. Um 12.30 Uhr wird auf dem Möhne­fried­hof ein Kranz zum Geden­ken an die Opfer niedergelegt.

Zur Erin­ne­rung an die Kata­stro­phe hat der Hei­mat­bund Neheim-Hüs­ten eine Aus­stel­lung mit his­to­ri­schen Fotos auf­be­rei­tet. Sie wird am Frei­tag, 18. Mai, um 17.30 Uhr im Fre­se­ken­hof eröffnet.

Dar­über hin­aus fin­det am Sams­tag, 26. Mai um 14 Uhr auf dem Möhne­fried­hof eine Son­der­füh­rung zum The­ma Möh­ne­ka­ta­stro­phe statt.

Angriffe auf sechs Talsperren

In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 grif­fen bri­ti­sche Bom­ber sechs Tal­sper­ren im Sau­er­land und in Nord­hes­sen mit eigens für die­sen Zweck kon­stru­ier­ten Rota­ti­ons­bom­ben an, die nach dem Prin­zip eines hüp­fen­den Kie­sel­steins in Rich­tung der Stau­mau­er bzw. des Stau­damms sprin­gen, dort ver­sin­ken und in der Tie­fe explo­die­ren soll­ten. Für den Angriff auf die Möhne‑, Lister‑, Sor­pe- und Enne­pe­tal­sper­re des Ruhr­ver­bands sowie die Die­mel- und Eder­tal­sper­re an der Gren­ze zu Nord­hes­sen hat­ten die Pilo­ten der Roy­al Air Force mona­te­lang trainiert.

80 Meter breite Lücke im Damm

Zer­stör­tes Haus in Fröndenberg.(Foto: Archiv Ruhrverband)

Die ver­hee­rends­ten Fol­gen des Angriffs gab es an der Möh­n­etal­sper­re: Hier erreich­te eine der abge­wor­fe­nen Bom­ben ihr Ziel und ver­ur­sach­te einen Riss in der Mau­er, der sich durch den Druck der aus­strö­men­den Was­ser­mas­sen rasch zu einer fast 80 Meter brei­ten Lücke erwei­ter­te. Mit einer Höhe von bis zu sie­ben Metern ras­te die Flut­wel­le durch das enge Möh­n­etal und riss alles mit sich, was ihr im Weg stand. In weni­ger als neun Stun­den ström­ten über 100 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Was­ser aus der Tal­sper­re und ergos­sen sich bis weit ins Ruhr­tal hin­ein. Häu­ser wur­den fort­ge­spült, Brü­cken und Stra­ßen zer­stört. Das Kraft­werk am Hengs­tey­see, mehr als 60 Kilo­me­ter fluss­ab­wärts gele­gen, wur­de eben­so über­flu­tet wie die Was­ser­wer­ke an der mitt­le­ren Ruhr. Auf den umlie­gen­den Äckern hin­ter­ließ das Was­ser unvor­stell­ba­re Men­gen von Schlamm und Geröll.

Lager und Kloster weggeschwemmt

Rund 1600 Men­schen kamen bei der Möh­ne­ka­ta­stro­phe ums Leben, die meis­ten davon aus­län­di­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne sowie Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­ter, die in einem Lager fünf Kilo­me­ter unter­halb der Sperr­mau­er unter­ge­bracht waren. Ein Mahn­mal am Stand­ort des durch die Flut­wel­le eben­falls völ­lig zer­stör­ten Klos­ters Him­mel­pfor­ten erin­nert heu­te an die Toten in die­sem Lager. Auch im Orts­kern von Neheim, das von der Hoch­was­ser­wel­le schwer getrof­fen wur­de, gibt es ein Mahn­mal für die Opfer der Katastrophe.

Wiederaufbau in vier Monaten

Die 80 Meter brei­te Lücke in der Staumauer.(Foto: Archiv Ruhrverband)

Die Men­schen in der Regi­on spür­ten die Fol­gen der Zer­stö­rung noch mona­te­lang: Die Ver­sor­gung mit Trink­was­ser war durch die Beschä­di­gung der Stau­an­la­gen und Was­ser­wer­ke stark ein­ge­schränkt. Da vie­le Klär­an­la­gen eben­falls zer­stört oder beschä­digt waren, gelang­ten hoch belas­te­te Indus­trie­ab­wäs­ser unge­rei­nigt in die Flüs­se. In den Rüs­tungs­stand­or­ten Dort­mund, Bochum und Hagen lag die Pro­duk­ti­on durch den Aus­fall von Was­ser- und Elek­tri­zi­täts­wer­ken meh­re­re Tage lang still. Das NS-Regimes begann rasch mit dem Wie­der­auf­bau und setz­te dabei nahe­zu 4000 über­wie­gend aus­län­di­sche Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­ter ein. Bereits im Sep­tem­ber 1943 konn­te die Möh­n­etal­sper­re wie­der ein­ge­staut wer­den. Mit dem Wie­der­auf­bau der eben­falls beschä­dig­ten Grund­ab­läs­se begann der Ruhr­ver­band aller­dings erst 1950. Anschlie­ßend wur­de als Ersatz für das bei dem Angriff zer­stör­te Haupt­kraft­werk ein neu­es Werk am Aus­lauf des frü­he­ren Umlei­tungs­stol­lens für Möh­ne und Heve errich­tet. Das alte Neben­kraft­werk wur­de abge­tra­gen und – zusam­men mit einem deut­lich ver­grö­ßer­ten Aus­gleichs­wei­her – eben­falls durch ein neu­es Kraft­werk 400 Meter west­lich der alten Posi­ti­on ersetzt.

Auch die nord­hes­si­sche Eder­tal­sper­re wur­de bei dem Angriff zer­stört; hier fan­den Dut­zen­de Men­schen den Tod. Die Absperr­bau­wer­ke der übri­gen ange­grif­fe­nen Tal­sper­ren wur­den zwar teil­wei­se stark beschä­digt, bra­chen aber nicht. Zur Abwehr erneu­ter Bom­bar­de­ments erhiel­ten die Tal­sper­ren im Sau­er­land in der Fol­ge Flak­stel­lun­gen; aller­dings wur­den bis Kriegs­en­de kei­ne wei­te­ren geziel­ten Angrif­fe auf Tal­sper­ren mehr unternommen.

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