Arnsberg. Der Kunstsommer Arnsberg kommt in Fahrt: Vom 1. bis zum 31. August 2020 rollt der „Konvoi spezial“ durch die Stadt. Für die mobile Ausstellung entwickelten die Künstlerinnen Yala Juchmann, Theresa Kampmeier und Liska Schwermer-Funke gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort künstlerische Arbeiten, die sich mit Arten, Formen, Farben und Konstellationen des öffentlichen Raums auseinandersetzen. Als großformatige Drucke sind die entstandenen Bilder im Konvoi spezial auf Fahrzeugen im Arnsberger Raum mobil zu sehen. Alle sieben Motive werden außerdem zusammen auf einer Schaufensterfläche am Brückenplatz in Arnsberg ausgestellt. Hier gibt es eine ausführliche Skizzierung des Projektes – Zeit zum Lesen erforderlich!
Ausstellung in Schaufensterfläche
Die Eröffnung der Ausstellung findet am Sonntag, 2. August, für die teilnehmenden Projekt-Mitgestalterinnen und ‑gestalter mit Mund-Nasen-Schutz statt. Ab diesem Zeitpunkt sind die abfotografierten Kunstwerke im Ladenleerstand von außen auf großen Plakaten sichtbar.
Im Zentrum der Zusammenarbeit von Yala Juchmann und Johannes Brand stand das Kompostwerk Hellefelder Höhe. Auf der Suche nach einer Perspektive auf Arnsberg, die in der Öffentlichkeit selten Aufmerksamkeit erfährt, nahm Yala den Kontakt auf. Johannes arbeitet seit vielen Jahren am Sortierband im Kompostwerk, wo der gesamte Bioabfall der Stadtgebiete Meschede, Sundern und Arnsberg zusammenläuft. Hier wird das nichtorganische vom organischen Material getrennt. Nach verschiedenen Umwandlungsprozessen wird das Material anschließend wieder als Erde und Kompost in den Stadtgebieten verteilt. Als letzte Kontrollinstanz übernimmt Johannes also eine Schlüsselfunktion für die Qualität der Böden unserer Zukunft.
Qualität der Böden
Bei der jahrelangen Beobachtung und Bearbeitung des Bioabfalls hat er ein Wissen gesammelt, das bei dem Projekt als Ausgangspunkt für die Entwicklung von drei Fotocollagen dienen konnte. Für zwei der Motive sammelte Johannes eine Woche lang interessante und ungewöhnliche Objekte, zum Beispiel Besteck aller Form. Das dritte Motiv entstand, weil der Arnsberger Bioabfall zwar der sauberste ist, jedoch die größte Anzahl an Steinen beinhaltet. Ähnlich einer Archäologin arrangierte Yala die drei Materialsammlungen Steine, Besteck und Kurioses vor Landschaftsaufnahmen des Kompostwerks.
Landschaftsaufnahmen vom Kompostwerk
Der Bioabfall, mit dem wir nach dem Gang zur Tonne am liebsten nichts mehr zu tun haben, wird in diesen Arbeiten von zwei Augenpaaren untersucht: Das eine hat jahrelang streng selektiv auf das Gesehene reagiert und probiert nun ein zusätzliches Auswahlkriterium ästhetischer Art aus. Das zweite Augenpaar – bisher nur privat mit Bioabfall in Kontakt, bringt eine jahrelange Erfahrung mit Bildkomposition mit. Zwischen den zwei Sehgewohnheiten werden aus der Problematik des Fremdmaterials im Biomüll die ausgestellten Bilder. So ist schließlich die Zusammenarbeit von Johannes und Yala zu einer respektvollen Anerkennung des Anderen/der Anderen geworden in dem, was sie tun.
Respektvolle Anerkennung
Die Zusammenarbeit von Theresa Kampmeier und Ramona Schmitt war geprägt durch atmosphärische Erkundungen im und um Arnsberg. Sie beschäftigten sich intensiv mit der alltäglichen Aufenthaltsqualität des öffentlichen, urbanen Raums. Was oder wo genau ist das Zentrum von Arnsberg? Ist das Zentrum am Glockenturm oder ist es vielleicht beim roten Markierungspin im Kreisverkehr? Oder ist es eine diffuse Gegend, die vor dem Altstadttunnel beginnt und erst bei den Ruhrwiesen wieder endet? Wo löst sich der städtische Anspruch auf Urbanität ein?
Anspruch auf Urbanität
Polarisiert von Altstadt am Berg und Neustadt im Tal zeigte sich im künstlerischen Prozess der beiden jungen Arnsbergerinnen ein Widerspruch zwischen dem urbanen Flair der neuen Stadtraumgestaltung und dem Erhalt der visuellen mittelalterlichen Identität. Die räumlichen Überschneidungen, sozialen Verschmelzungen und planerischen Krieselmomente dieser beiden Aspekte zeichnen die Künstlerinnen besonders deutlich heraus in der geschichteten Anordnung von Verkehrstunnel und Wahrzeichen.
In der Arbeit „Tunnelblicke“ ruhen die beiden physisch markanten Zeichen des Zentrums wie in einem Kippbild auf den zwei gegenüberliegenden Seiten des Altstadttunnels, der das skulpturale Podest unterwandert und zu einer Schleuse macht. Der Glockenturm fungiert wie der Tunnel auch als Portal. So sind die zwei Elemente aneinander geknotet. Im Bogenschlag zwischen Turm und neuer Kreisverkehrskulptur ist für die beiden Künstlerinnen das Spannungsverhältnis voller Potenzial im Zentrum Arnsbergs spürbar.
Potential im Zentrum
Liska Schwermer-Funke und ihre 19-jährige Tandem-Partnerin trafen sich erstmalig auf einer schiefen Holzbank am Hang eines wild-großen Gartens – zwei junge Frauen, die eine aufgewachsen im Sauerland und dann zwecks Welterkundung und Kunststudium weggezogen, die andere aufgewachsen in der Großstadt und vor einigen Jahren nach Arnsberg gekommen. Im Zentrum der Zusammenarbeit stand die Perspektive der Schülerin auf die Stadt, in der sie lebt: Welche Wege prägen ihren Alltag? Wo verweilt sie? Welche Gebäude und Aussichten lösen Assoziationen aus? Wo gibt es Wohlfühlorte und was macht sie aus? Was fehlt?
Mit wachen Sinnen und einer Kamera hat das Duo die Stadt durchstreift, wahrgenommen, aufgenommen und kommentiert. Überall Menschen mit Fahrrädern oder Hunden. Die Arnsbergerin zeigte und beschrieb ihre Lieblingsorte. Hier die Perspektive, aus der das Backhaus am schiefsten aussieht. Hier der beste Aussichtspunkt vom Schloss auf die Stadt. Hier diese eigentümliche Statue. Wäre Arnsberg ein Wohnzimmer, würde rechts der Figur ein rotes Samtsofa stehen. Auch ein Klavier, das Richtung Bergkulisse tönt.
Ein Klavier tönt Richtung Bergkulisse
“Arnsberg ist wie die Farbe lila”, hat die Schülerin gesagt, weise und ewig “wie ein Vampir – oder eine Göttin”.
Die Partnerinnen transformierten die Eindrücke in Bildideen, mischten im Garagen-Atelier Lila-Töne, zeichneten Fahrräder- und Gebäudeskizzen. Im Austausch entstanden so zwei Malereien, die im Gestus von Wiederholung und Überlagerung Elemente des subjektiven Alltags zu städtischer Struktur verdichten.
„Konvoi spezial“ findet im Rahmen der „Stadtbesetzung” während des Kunstsommers Arnsberg statt. „Stadtbesetzung” ist ein Förderprojekt des Kultursekretariat NRW Gütersloh. Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Mehr Informationen unter: www.stadtbesetzung.de
Dank an Unterstützer
Die Organisatorinnen möchten sich ausdrücklich bedanken bei: Marko Mennekes und dem Team von DWM, deren Unterstützung bei der Realisierung der Ausstellung maßgeblich war; den Bürgerinnen und Bürgern, den Technischen Diensten und den Stadtwerken, die mit großem Vertrauen ihre Fahrzeuge zur Verfügung stellen; den Eigentümern der Ladenlokale am Brückenplatz; Barbara Anneser; und den Jungs vom Kompostwerk Hellefelder Höhe.
(Text und Foto: Stadt Arnsberg / Kulturbüro)