Arnsberg. Der traditionelle Neujahrsempfang der Frauen stand an diesem Sonntag ganz im Zeichen des „Europäischen Jahres gegen Gewalt an Frauen“. Über 150 Frauen waren in das Historische Rathaus in der Arnsberger Altstadt gekommen. Uschi Plenge vom Verein Frauen helfen Frauen stellte ihren Vortrag unter die Überschrift „Gewalt gegen Frauen – wir müssen handeln.“
Bescheidenes Resultat der letzten Jahrzehnte
Sie führte aus, dass es noch vor 40 Jahren undenkbar gewesen wäre, dass Frauen sich an einem Sonntag morgen öffentlich treffen und darüber sprechen, was gegen Demütigungen und Schläge, gegen sexuelle Belästigung und Vergewaltigung und gegen wirtschaftliche und strukturelle Gewalt an Frauen getan werden muss. Der Verein Frauen helfen Frauen in Arnsberg wurde 1984 gegründet, 1987 konnte das Frauenhaus und 1995 die Frauenberatungsstelle eröffnen. Seitdem wurden Aktionspläne verabschiedet, ein Hilfesystem etabliert, Untersuchungen in Auftrag gegeben, gelegentlich ein Gesetz verabschiedet – alles im Schneckentempo und auf Sparflamme. Städte, Landkreise, Landes- und Bundesregierung, die Europäische Union, der Europarat, die Vereinten Nationen beschäftigen sich mit dem Thema, hinter jeder kleinen Veränderung steckt enorm viel Arbeit, aber das Resultat fällt – auf die Dauer von 30 Jahren gesehen – für Mädchen und Frauen sehr bescheiden aus. Die Frauenberatungsstellenmitarbeiterin sagte: „Und bescheiden, daran hat uns Renate Schaub hier im Ritterssaal oft erinnert, wollen wir nicht mehr sein.“ In unserem Alltagsbewusstsein blenden aber auch Frauen meistens die Risiken aus, weil sie einen ständigen Alarmzustand nicht aushalten könnten.
Zu Köln: „Öfter Mitgefühl und Empörung gewünscht“
Zu den massenhaften sexuellen Belästigungen an Silvester in Köln und anderswo sagte sie: „Wir als Verein Frauen helfen Frauen sind völlig unverdächtig, Täter schonen zu wollen. Wir treten immer für Aufklärung und Faktensicherung ein und für die rechtsstaatliche Bestrafung von Tätern, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, von ihren Berufen und ihrer Position in unserer Gesellschaft. Natürlich auch in diesem Fall. Uns fiel auf, dass in den Äußerungen mancher Politiker/innen plötzlich von patriarchalen Systemen die Rede ist, in denen Frauen weniger wert seien, die aber eher in Herkunftsländern der Flüchtlinge verortet werden. Und von Macho-Ländern, die ebenfalls woanders liegen. Ich hatte mich im Vorfeld des Neujahrsempfangs nämlich noch gefragt, ob der Begriff patriarchal, der für uns Feministinnen in der Anti-Gewalt-Arbeit wichtig ist, heute noch verstanden wird. Wir bestreiten nicht, dass Frauen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland Fortschritte in Richtung Gleichstellung erzielt haben und es Unterschiede zu den Verhältnissen in Saudi Arabien oder Indien gibt. Das haben wir gemeinsam erkämpft und wissen es zu schätzen. Aber unsere 30-jährige Erfahrung mit sexueller und körperlicher Gewalt zeigt uns, dass die Mehrheitsgesellschaft nötig ist. Unabhängig von Religionen und Weltanschauungen. Die starken Gefühle, die im Zusammenhang mit der Silvesternacht aufkommen und durch die Medien transportiert werden, die Empörung über die Täter, das Mitgefühl für die Opfer, den Ruf nach Bestrafung, würden wir uns im Alltag öfter wünschen: mehr Mitgefühl für Frauen und Mädchen, wenn sie Opfer werden, die rote Karte und gesellschaftliche Ächtung für die Täter und die die Bestrafung durch den Rechtsstaat.“
Mehr als die Hälfte der Frauen erfahren sexuelle Belästigungen
Uschi Plenge zitierte sodann eine europaweite Studie aus dem Jahr 2014: Jede dritte Frau (33 %) hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. In den zwölf Monaten vor der Befragung der Erhebung haben acht Prozent der Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Zwei von fünf Frauen, 43 Prozent erleben psychische Gewalt entweder durch den derzeitigen oder einen früheren Partner/Partnerin. Dazu gehört das Herabsetzen und Demütigen (25 %), das Androhen einer körperlichen Verletzung (14 %), das Verbot, die Wohnung zu verlassen, das Wegnehmen der Autoschlüssel und das Einschließen. Zwischen 74 und 75 Prozent der berufstätigen oder in Führungspositionen tätigen Frauen berichten in der Studie von sexuellen Belästigungen. Jede fünfte Frau gibt an, gegen ihren Willen seit dem 15. Lebensjahr ungewollt berührt, umarmt oder geküsst worden zu sein. Die Untersuchungsergebnisse dieser Studie der Europäischen Grundrechteagentur decken sich großenteils mit der Studie, die 2004 im Auftrag der Bundesregierung für Deutschland erstellt wurde. Diese Studie von Monika Schröttle kommt zu dem Ergebnis, dass 58 Prozent aller Frauen sexuelle Belästigung erfahren.“
Gesetzliche Finanzierung des Hilfesystems gefordert
Uschi Plenge vom Verein Frauen helfen Frauen wies darauf hin, dass Frauenhaus und Frauenberatungsstelle unverzichtbare Hilfsangebote für Frauen im Hochsauerlandkreis seien. Beide Einrichtungen sind niederschwellig und sehr gut vernetzt mit Kindergärten Schulen, Polizei und Justiz, dem Gesundheitswesen und der Jugendhilfe.
Sie forderte zum Schluss: „Die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ist das ehrgeizige Ziel der Istanbul-Konvention von 2011. Auch die EU-Opferschutzrichtlinie von 2012 muss umgesetzt werden. Das wird Zeit, Energie und viel politischen Druck erfordern. Das Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen, muss als Konsequenz bedarfsgerecht ausgebaut und gesetzlich finanziert werden. Freiwillige Leistung von Land, Städten und Kreisen wollen wir nicht länger sein.“
Zuletzt lud sie alle Anwesenden ein, mit ihr wieder am Valentinstag zusammen mit Frauen aus der ganzen Welt ein Zeichen zu setzen und an der Aktion www.onebillionrising.de teilzunehmen und am 14. Februar um 11 Uhr auf dem Alten Markt „Break the Chain“ zu tanzen.
Musikalisch Akzente setzten dieses Jahr die „Eiflers“, die ebenfalls bejubelt wurden.